Interview: Ökosoziale Ideen zur Klimawandelanpassung

Interviews ÖKOSOZIALES FORUM WIEN

Der Klimawandel ist eine Tatsache. Städte wie auch der ländliche Raum werden – das zeigt sich bereits jetzt, beispielsweise anhand der Hitzetage – zunehmend vom Klimawandel und seinen Folgen betroffen sein. Es braucht aktive Maßnahmen im Klimaschutz wie in der Klimawandelanpassung. Das Ökosoziale Forum Österreich & Europa hat daher in Zusammenarbeit mit den Ökosozialen Länderforen und zahlreichen Städten und Gemeinden den Ökosozialen Klimakompass publiziert – einen Leitfaden zur Klimawandelanpassung für Städte und Gemeinden.

Hans Mayrhofer, Generalsekretär des Ökosozialen Forums Österreich & Europa, sprach mit uns über den Klimakompass und die Bedeutung, Herausforderungen und Chancen der Klimawandelanpassung.

Interview

Herr Generalsekretär, was bedeutet „Ökosozial“? Wozu der Ökosoziale Gemeindekompass?

Hans Mayrhofer: Ökosozial ist, was Arbeit schafft, die Wirtschaft stützt und die Umwelt schützt. Vereinfacht gesagt, dass es uns Menschen, der Wirtschaft und der Umwelt gut geht und das auch noch in 100 Jahren. Gerade jetzt sind Österreich und die ganze Welt gleichermaßen von Corona- und Klimakrise gebeutelt: Wir sehen uns mit einem historischen Höchststand an Arbeitslosen und hohen wirtschaftlichen Verlusten konfrontiert. Gleichzeitig schreitet die andere globale Krise – der Klimawandel – trotz Corona-Pandemie unaufhörlich voran. Wir müssen unsere Gemeinden für eine lebenswerte Zukunft wappnen! Genau dafür hat das Ökosoziale Forum ein Werkzeug entwickelt, um unsere Gemeinden erfolgreich klimafit zu machen: den Ökosozialen Klimakompass.

Sie haben im Mai 2020 den Ökosozialen Klimakompass publiziert. Was bedeutet es für eine Stadt oder Gemeinde, sich an den Klimawandel anzupassen, wie geht das und welche Vorteile bringt das?

Hans Mayrhofer: Regionale Anpassung an die Klimakrise erhöht die Krisensicherheit einer Stadt oder Gemeinde und sichert die Gesundheit der Menschen, die dort leben. Wenn man auf die einzelnen Maßnahmen blickt ergeben sich neben diesem Grundziel auch viele positive Nebeneffekte: Fassadenbegrünung kühlt die Umgebung und trägt gleichzeitig zu einer Erhöhung der Artenvielfalt bei. Ein klimafitter Ortskern, in dem man sich durch Naherholungsangebote wohlfühlen kann, fördert Gesundheit und gleichzeitig die örtliche Wirtschaft. Der Ausbau von E-Mobilität, Fahrrad- und Gehwegen verringert den Schadstoffausstoß und dadurch den Hitzeinseleffekt, gleichzeitig wird ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Das sind nur wenige Beispiele dafür welchen positiven Nutzen Anpassungsmaßnahmen für unsere Gemeinden mit sich bringen. Zum Teil kann eine Gemeinde auch ohne hohen Aufwand deutlich klimafitter werden.

Welche Informationen enthält der Kompass und wie können ihn Städte und Gemeinden für sich nutzen?Welche Informationen enthält der Kompass und wie können ihn Städte und Gemeinden für sich nutzen?

Hans Mayrhofer: Der Ökosoziale Klimakompass ist ein Werkzeug für Gemeindeverantwortliche, um ihre Gemeinden erfolgreich klimafit zu machen. Dabei braucht das Rad nicht immer neu erfunden zu werden: Mit vorausschauender Planung kann es jeder Gemeinde gelingen, sich auf die Herausforderungen des Klimawandels einzustellen und vorzubereiten. Anhand konkreter Beispiele wird gezeigt, wie innovative Projekte umgesetzt wurden. Ganz nach dem Motto „Abschauen erlaubt – Nachmachen erwünscht!“ Die Gemeinde Ober-Grafendorf hat zum Beispiel nach zahlreichen Schäden durch Starkregen- und Hochwasserereignisse nach einem zukunftsfähigeren Straßen- und Abwassersystem gesucht. Mit den Ökostraßen ist die Gemeinde nun auf dem richtigen Weg. Das Lavanttal in Kärnten hat seine Wälder klimafit gemacht, um Hitze, Schädlingen und Trockenheit entgegenzuwirken. Für ein angenehmes, kühles Raumklima an heißen Tagen sorgt die Fassadenbegrünung am Rathaus in Weiz in der Steiermark.

Der Ökosoziale Klimakompass ist ein Werkzeug für Gemeindeverantwortliche, um ihre Gemeinden erfolgreich klimafit zu machen.

Hans Mayrhofer, Generalsekretär Ökosoziales Forum Österreich & Europa

Was muss in Hinsicht auf Klimaschutz und Klimawandelanpassung in den nächsten Jahren passieren – in den Städten und Gemeinden, im Bund, in der Wirtschaft?

Hans Mayrhofer: Anpassung hat viele Facetten. Hier geht es um Wärmehaushalt im Siedlungsraum, klimafitte Innenräume, um den Umgang und das Leben mit Naturgefahren, den Schutz der Artenvielfalt und unserer Ressourcen und die Steigerung unserer Lebensqualität. Hier können alle Instanzen dazu beitragen. Von der Gemeinde bis zum Bund.

In Bezug auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen und Klimaschutz, gilt es die Vorreiterrolle Österreichs zurück zu gewinnen. Das beginnt bei der raschen Umsetzung der Ökosozialen Steuerreform. Wir sind hier für eine zweckgebundene Lenkungsabgabe. Die Mehreinnahmen durch die Verteuerung von CO2 müssen dort eingesetzt werden wo es – wortwörtlich – brennt: Stichwort Verkehr als Hauptverursacher, Stichwort Energie. Generell gilt es den Ausstieg aus Erdöl, Kohle und Erdgas voranzutreiben. Die österreichische Bioökonomie ist bereits gut aufgestellt. Es braucht jedoch dringend Innovationsförderungen – wie etwa für die Errichtung einer Versuchsanlage für die Produktion von Holzgas aus Schadholz. (Anm. Wien Energie errichtet derzeit eine solche Anlage, die den Versuchsbetrieb geplanterweise im Frühjahr 2021 aufnehmen wird.)

Welche Bedeutung hat Bewusstseinsbildung?

Hans Mayrhofer: Die Coronakrise hat gezeigt: es muss uns Menschen unmittelbar betreffen, damit wir unser Verhalten ändern. Die Folgen des Klimawandels tun uns, salopp gesprochen, noch zu wenig weh. Doch die Folgen des Klimawandels bringen noch viel höhere Schäden für uns Menschen, für unsere Wirtschaft und für unsere Umwelt mit sich, als es die Coronakrise je wird. Dafür wollen wir nicht nur das Bewusstsein der Menschen schärfen, sondern auch zeigen, dass wir etwas tun können und es in unser aller Händen liegt, den Klimawadel zu stoppen.

Mit den Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) soll eine lebenswerte Welt für alle im Rahmen der Grenzen der Natur erreicht werden. Welche Rolle spielt hier das Thema Klimawandelanpassung, und stehen einzelne SDGs mit diesem Thema besonders eng in Verbindung?

Hans Mayrhofer: Ein besonderer Fokus liegt auf SDG 11 „Sustainable Cities and Communities“. Die Starkregenereignisse, welche unlängst im Norden Österreichs stattgefunden haben und einen Schaden von ca. 2 Millionen Euro mit sich gebracht haben, sind ein Beispiel dafür, wie wichtig Schutzmaßnahmen in Österreichs Gemeinden schon jetzt sind. Es gilt, unsre Gemeinden klimafit zu gestalten. Das reicht von Hitzeschutz über Energiesicherheit bis hin zum Schutz vor Naturgefahren und Katastrophen. Anpassung an die Klimakrise und die Vermeidung von Treibhausgasemissionen sind zwei Seiten derselben Medaille. Insbesondere mit dem Fokus auf SDG 13 „Climate Action“ ist es besonders ratsam, beides in Klimastrategien zu berücksichtigen.

Klimawandelanpassung wird uns in vielen Lebensbereichen betreffen. Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich für den urbanen Raum und speziell für größere Städte?

Hans Mayrhofer: Durch die Unsicherheiten, die mit dem Klimawandel einhergehen, ist es notwendig, in alle Richtungen zu blicken: Hitze, aber auch erhöhte Starkregenereignisse, Stürme, plötzliche Schneemassen, sind nur wenige Beispiele. Ein Bereich, in denen BewohnerInnen in den Städten besonders leiden, ist die Hitze. Die Zahl der Hitzetage und Tropennächte in Österreichs Gemeinden und Städten nimmt rasant zu. Von den 20 wärmsten Sommern der Messgeschichte fanden zwölf seit dem Jahr 2000 statt. In sogenannten Hitzeinseln ist es besonders unangenehm. Diese werden durch eine besonders dichte Bebauung, Flächenversiegelung, rasche Verdunstung und fehlende Beschattung sowie ein hohes Verkehrsaufkommen begünstigt.  Extreme Hitze ist begleitet von einem hohen Risiko für die Gesundheit – vor allem auch für ältere und kranke Menschen. Auch der Wasser- und Pflegebedarf in Frei- und Grünräumen sowie der Bedarf an Trink- und Kühlwasser steigt. Die Verkehrsinfrastruktur wird ebenfalls auf die Probe gestellt: Materialschäden an Infrastruktur in Form von Straßenaufweichungen oder Schienenverformungen sowie die Zunahme von Ausfällen elektronischer Anlagen aufgrund von Überhitzung sind die Folge.

Hier geht´s zum Wiener Beispiel – der Sprühnebeldusche „Sommerspritzer“. Sie kühlt urbane Hitzeinseln in den Sommermonaten.

Was können Städte im Bereich der Klimawandelanpassung von kleineren Gemeinden lernen, was können Gemeinden von Städten lernen? Gibt es hier im Kompass Beispiele?

Hans Mayrhofer: Kleinere Gemeinden haben oft kurze und unbürokratische Handlungspfade. Klimawandelanpassung wird auch rasch zur Chefsache. Das ist beispielsweise bei dem neuen Holzhybridbau der Volksschule Hallwang bei Salzburg oder bei der Erschließung neuer Trinkwasserquellen in Kärnten der Fall. Hier können sich Städte bestimmt noch etwas abschauen. Gleichzeitig sind Städte oft innovative Hotspots für komplexe Themen. Das System der Sprühnebelduschen, welche in Wien errichtet werden, kann gut auf kleinere Gemeinden angewendet werden.

Die Stadt Wien setzt mit Strategieplänen, Raumplanung und Maßnahmenprogramme vielfältige Maßnahmen zur Klimawandelanpassung. Was sind aus ihrer Sicht die wichtigsten Handlungsfelder für die Millionenstadt Wien, und gibt es Beispiele aus dem Kompass, die für eine Umsetzung in der Stadt besonders interessant wären?

Hans Mayrhofer: Wie gesagt, der Klimawandel ist mit großen Unsicherheiten verbunden. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was kommen wird. Jedenfalls wissen wir, DASS etwas kommen wird. Genau das ist der springende Punkt: Klimawandelanpassung bedeutet auch die Widerstandsfähigkeit und Resilienz einer Stadt zu erhöhen. Die systemkritische Infrastruktur muss für den Krisenfall gesichert sein. Das hat uns auch die COVID-19-Pandemie gezeigt.  Hier geht es um viele Bereiche: Verkehr, Wohnen, Energie- und Lebensmittelversorgung oder das Gesundheitssystem. Im Ökosozialen Klimakompass findet man einige Anhaltspunkte dafür, wie beispielsweise die Ökostraße Obergrafendorf, die den Ortskern vor Überschwemmungen im Starkregenfall schützt.

Herzlichen Dank für das Interview!

Machen Sie mit uns Zukunft und erfahren Sie mehr über uns, die Ökosoziale Marktwirtschaft und die Ökosoziale Kompassreihe für Gemeinden unter www.ökosozial.at

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Ökosozialer Klimakompass

Ein Leitfaden zur Klimawandelanpassung im ländlichen und städtischen Raum

Mehr über den Klimakompass erfahren sie unter diesem Link.

Link zum Download als PDF

Weiterführende Links und weiterführende Infos zu Wien:

„Wir kämpfen mit verschiedenen Maßnahmen gegen klimawandelbedingte Hitzeinseln in unserer Stadt. Diese Hitzeinseln machen vor allem Kranken und Älteren in dichtverbauten Gebieten zu schaffen. Wir haben diesen Sommer in allen Bezirken cooling-Maßnahmen gesetzt, um unsere Stadt auch an Hitzetagen für alle attraktiv zu gestalten. Aber Klimawandelanpassungsmaßnahmen sind nicht genug: Mit großflächigen Begrünungen an Fassaden, Baumpflanzungen, neuen Parks und dem Ausbau der Öffis intensivieren wir auch ständig unsere Klimaschutzmaßnahmen.“

Ulli Sima, Stadträtinfür UmweltUnd wiener Stadtwerke

Smart City Wien Rahmenstragie:
https://www.agendadonaustadt.at/home.html

Urban Heat Island Strategieplan der Stadt Wien:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/raum/uhi-strategieplan.html

Nachhaltiges Regenwassermanagement in Wien:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/raum/regenwassermanagement.html

Checkliste Nachhaltiger Urbaner Platz:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/raum/nup/

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