Der nachhaltige Umgang mit Lebensmitteln ist für Wien ein zentrales und wichtiges Thema im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Denn was wir essen hat unmittelbaren Einfluss auf Umwelt, Tierwohl wie auch Gesundheit und Wohlergehen der Menschen. Die Stadt Wien arbeitet daher – gemeinsam mit vielen Partner*innen – schon seit Jahrzehnten mit zahlreichen Initiativen, Maßnahmen und Programmen darauf hin, die Lebensmittelversorgung Wiens immer nachhaltiger, gesundheitsfördernder und tierwohlfreundlicher zu gestalten.
Der Wiener Landtag setzt mit dem im Januar 2020 beschlossenen Lebensmittelaktionsplan „Wien isst G.U.T“ einen neuen Meilenstein auf diesem Weg. G.U.T – das steht für:
- G – esund und genussvoll
- U – mwelt- und Klimafreundlich
- T – ierfair
Mit dem Aktionsplan werden bestehende Handlungsfelder weiter verbessert und neue Potentiale und Kooperationsmöglichkeiten erarbeitet. Dies ist im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung zum Wohle von Menschen und städtischer Umwelt wie auch im Kontext der globalen Herausforderungen wesentlich. Die UN-Agenda 2030 und ihre Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) sind hier globale Orientierungspunkte für den Weg in eine lebenswerte Welt für alle im Rahmen der Belastbarkeitsgrenzen der Natur. Das Themenfeld Ernährung hat hohe Bedeutung für diese Vision. Lokales Handeln ist ein wesentlicher Baustein zur Bewältigung der großen, globalen Herausforderungen.
Tierische Produkte haben dabei besonders vielfältige Aspekte und Wirkungen, die im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung wie auch gesundheitlicher und ethischer Fragen zu berücksichtigen sind. Daher wurde im Vorjahr der „Wiener Runde Tisch für mehr Tierwohl und Umweltschutz“ durch die Stadt Wien | Umweltschutz sowie die Tierschutzombudsstelle der Stadt Wien initiiert, dessen Ergebnisse in den Lebensmittelaktionsplan einfließen werden. Hier wird gemeinsam mit zahlreichen Partner*innen daran gearbeitet, die Möglichkeiten der Stadt bestmöglich auszuschöpfen, um eine möglichst umweltschonende, gesundheitsfördernde und tierfaire Ernährung in und für Wien zu fördern.
Wir durften Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Stadt Wien – Umweltschutz und Eva-Maria Persy, Wiener Tierschutzombudsfrau einige Fragen zum Thema Ernährung, zum Lebensmittelaktionsplan wie auch zum Runden Tisch stellen.
Interview
Frau Büchl-Krammerstätter – warum ist das Thema Lebensmittel so besonders wichtig? Warum braucht Wien den Aktionsplan „Wien isst G.U.T.“ und was sind die zentralen Inhalte des Plans?
Karin Büchl-Krammerstätter: Wie wir mit unseren Lebensmitteln umgehen hat unmittelbaren Einfluss auf uns und unsere Gesundheit, unsere Umwelt und bei tierischen Produkten auch auf das Tierwohl. Es geht darum, was wir konsumieren, wie und wo Lebensmittel erzeugt werden, wieviel wir wegwerfen, ob wir Fleisch essen oder nicht – und wenn, wie es den Tieren ging, solange sie lebten.
Der achtsame Umgang mit Lebensmitteln ist für Wien daher schon seit langem ein zentrales Thema. Achtsam bedeutet in diesem Sinne: regional, saisonal, umweltgerecht, tierfair, wie auch die Vermeidung von Lebensmittelabfällen.
„Wie wir mit unseren Lebensmitteln umgehen hat unmittelbaren Einfluss auf uns und unsere Gesundheit, unsere Umwelt und bei tierischen Produkten auch auf das Tierwohl. Der achtsame Umgang mit Lebensmitteln ist für Wien daher schon seit langem ein zentrales Thema.“
Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin Stadt Wien – Umweltschutz
Wir setzen in Wien seit Jahren zahlreiche entsprechende Initiativen, beispielsweise bei der öffentlichen Beschaffung und Speiseversorgung, bei der Beratung und Auszeichnung von Gastronomiebetrieben und Veranstaltungen sowie bei der Lebensmittelabfallvermeidung. Mit dem Wiener Lebensmittelaktionsplan werden die bestehenden Initiativen und Programme zusammenfassend dargestellt und fortgeführt. Das Kernstück des Aktionsplans wird sein, die notwendigen Maßnahmen auf allen erforderlichen Handlungsebenen laufend weiterzuentwickeln und konsequent umzusetzen.
Frau Persy, die Abkürzung G.U.T. steht für die Schlagworte Gesund/Genussvoll, Umwelt/Klima und Tierfair. Was bedeutet Fairness in der Tierhaltung, und wo besteht der Zusammenhang zwischen Tierwohl und Gesundheit – Umwelt – Klima?
Eva Persy: Ein Tier fair zu halten heißt, es seinen Bedürfnissen und Ansprüchen gemäß zu halten: Ein ganz logischer und eigentlich auch simpler Gedanke, dem wohl die meisten zustimmen würden und der für alle Lebewesen gleichermaßen gelten sollte. Bei Tausenden von Heimtieren in Österreich gelingt das auch: Sie werden umsorgt, beschäftigt, gehegt und gepflegt. Die konventionelle „Nutztier“-Haltung steht dazu in einem krassen Gegensatz: Die in der 1. Tierhaltungsverordnung geregelten Vorgaben für die Haltung von landwirtschaftlich genutzten Tieren hebeln systematisch die Zielvorgaben des Tierschutzgesetzes aus. Statt die Tiere zu schützen, statt sie vor Schmerzen, Leiden, Schäden oder schwerer Angst zu bewahren und sie entsprechend ihrer physiologischen und ethologischen Bedürfnisse zu halten, werden sie ganz legal in Systeme gezwängt, die so sehr gegen ihre Natur sind, dass sie unter diesen Bedingungen nur durch z.B. chirurgische „Anpassungen“ (Enthornung, Kupieren der Schwänze etc.) (über-) leben können. Die höheren Standards in der Tierhaltung, die wir fordern, sollen dazu führen, dass weniger Tiere gehalten werden, diese dafür aber besser. Warum weniger Tiere? Weil zum Beispiel das Platzangebot pro Tier steigt, langsamer wachsende Rassen bevorzugt werden, so dass die Mast länger dauert usw.
„Die höheren Standards in der Tierhaltung, die wir fordern, sollen dazu führen, dass weniger Tiere gehalten werden, diese dafür aber besser.“
Eva-Maria Persy, Wiener Tierschutzombudsfrau
Es ist weiters bekannt, dass die industrielle Tierhaltung einen großen Anteil an dem durch Menschen verursachten Klimawandel sowie an den größten Umweltproblemen hat. Wenn weniger, dafür aber bessere tierische Lebensmittel produziert und verzehrt werden, dann hat das auch einen positiven Einfluss auf unser Klima und unsere Umwelt – und natürlich auf die Gesundheit der Menschen. Denn die Österreicherinnen und Österreicher liegen mit durchschnittlich rund fünf Portionen Fleisch pro Woche weit über den empfohlenen maximal zwei bis drei Portionen, die die Österreichische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt.
Durch den Aktionsplan sollen die in städtischen Einrichtungen servierten Speisen noch hochwertiger, gesünder, nachhaltiger und tierwohlfördernder werden. Wie kann die Gemeinschaftsverpflegung dazu beitragen, dies in der Praxis umsetzen? Werden auch ProduzentInnen in den Aktionsplan einbezogen?
Karin Büchl-Krammerstätter: Die Stadt Wien stellt täglich ca. 100.000 Mahlzeiten in ihren Einrichtungen, also in Kranken- und Pensionistlnnenwohnhäusern, Schulen und Kindergärten, bereit. Sie ist mit ihrem ökologischen Beschaffungsprogramm „ÖkoKauf Wien“ schon lange Vorreiterin und wurde dafür bereits mehrfach international ausgezeichnet. Die ÖkoKauf-Arbeitsgruppe Lebensmittel ist hier besonders zu erwähnen. In ihr sind die Beschafferlnnen im Lebensmittelbereich der Stadt Wien vertreten. Unter wissenschaftlicher Leitung und unter Einbindung anderer Expertlnnen aus Produktion und Praxis entwickelt diese Gruppe Kriterien für die Gemeinschaftsverpflegung, die dem G.U.T.-Gedanken entspricht, laufend weiter. Die Frage, ob auch die Produzentlnnen weiterhin in den Aktionsplan eingebunden werden, ist also mit einem klaren „Ja“ zu beantworten. Derart richtungsweisende Entwicklungen, wie sie der Stadt Wien ein zentrales Anliegen sind, sind nur möglich, wenn in die entsprechenden Prozesse alle relevanten Akteurlnnen entlang der Gesamtwertschöpfungskette eingebunden sind.
Gibt es auch andere Städte, die vergleichbare Prozesse gestartet haben?
Eva Persy: Ja, die gibt es. Beispiele sind Kopenhagen oder Berlin. Ziel des Berliner Ernährungsplans ist, dass sich die Berliner gesünder und bewusster ernähren und dass die Anteile von Bio-Lebensmitteln zumindest in den von der Stadt verwalteten Kantinen steigen. Zudem will man dort stärker darauf achten, dass weniger Lebensmittel verschwendet werden. Des Weiteren setzt man Akzente im Bereich des Urban Gardening und bei sogenannten „Lebensmittelpunkten“. Das sind Grätzel-Standorte, an denen bald gemeinsam gekocht und gegessen werden soll.
Welche Maßnahmen sind in Wien bereits entwickelt und umgesetzt worden, um die Verpflegung der Stadt mit nachhaltigen Lebensmitteln voranzutreiben? Welche Meilensteine sollen zukünftig noch erreicht werden?
Karin Büchl-Krammerstätter: Wie oben bereits erwähnt ist unser Beschaffungsprogramm ÖkoKauf eine zentrale Basis für die Gemeinschaftsverpflegung in Wien. ÖkoKauf besteht bereits seit mehr als 20 Jahren. Ein besonderer Erfolgsfaktor ist, dass Expertlnnen unterschiedlicher Dienststellen und Organisationen hier auf Augenhöhe gemeinsam Kriterien entwickeln, die dann von den beschaffenden Abteilungen verpflichtend zu berücksichtigen sind.
Zu den zentralen Meilensteinen in der ÖkoKauf-Arbeitsgruppe Lebensmittel zählt eine allgemeine Bioquote von 30%, bezogen auf den Einkaufswert der Lebensmittel. Diese Bioquote gibt es bereits seit ca. 15 Jahren. In Schulen und Kindergärten liegt sie schon heute bei 50%. Im Rahmen unseres Lebensmittelaktionsplanes wird sie nun kontinuierlich angehoben.
Zu einzelnen Produktgruppen haben wir verbindliche Kriterienkataloge entwickelt. Absoluter Vorreiter mit großer Vorbildwirkung ist dabei unser Kriterienkatalog Ei: durch diesen verpflichtet sich die Stadt, in der gesamten öffentlichen Speisenversorgung, ausschließlich auf Bio- und Freilandeier zu setzen – nach dem Motto „Null oder Eins – sonst keins“. Das gilt nicht nur für Schaleneier, sondern auch für „versteckte Eier“ – also Flüssig-Ei und sogar verarbeitete Eier, etwa in Backwaren. Lediglich bei einem verarbeiteten Eigehalt unter 15% sind dzt. noch Bodenhaltungseier zulässig – allerdings nur von Tieren, bei denen der Schnabel nicht gekürzt wurde und die GVO-freies Futter erhielten!
Zu Milchprodukten und Fleisch erarbeiten wir gerade Kriterienkataloge, in die auch möglichst viele Ergebnisse aus unserem oben erwähnten „Runden Tisch zu mehr Tierwohl und Umweltschutz“ einfließen sollen.
Besonders erwähnenswert ist für mich auch unser Kriterienkatalog Fisch. Diesen hatten wir bereits vor einigen Jahren nach, wie wir meinten, strengen Kriterien erstellt. Die Labeldiskussionen betreffend nachhaltigen Fisch des letzten Jahres hatten uns aber veranlasst, im Rahmen von ÖkoKauf eine Enquete mit den renommiertesten internationalen Fisch-Expertlnnen aus Ökologie, Nachhaltigkeit und Tierethik zu veranstalten. Die Erkenntnisse daraus waren so erschütternd, dass wir beschlossen haben, unsere Kriterien zu überarbeiten und diese gemeinsam mit unseren Beschafferlnnen schrittweise anzupassen.
Um den Beschafferlnnen und auch den Bürgerlnnen die Überlegungen und Gründe unseres Einsatzes näherzubringen, haben wir dazu unser „Positionspapier Lebensmittel“ erstellt, das auf insgesamt 9 Punkten für einen achtsamen Umgang mit Lebensmittel aufbaut. Dazu gehören neben bio – regional – saisonal die Beachtung von Tierschutzstandards, der Verzicht auf GVO und Palmöl sowie das Ersetzen tierischer Produkte durch pflanzliche Alternativen.
Was sind die Ansatzpunkte, um – von diesem bereits hohen Niveau ausgehend – die Ziele des G.U.T-Gedankens aktiv voranzubringen?
Eva Persy: Es ist ein wahnsinnig starker Hebel, wenn in den städtischen Einrichtungen mit all diesen Maßnahmen die Umstellung auf nachhaltige Lebensmittel, welche die G.U.T-Kriterien erfüllen, erfolgt. Wir als Tierschutzombudsstelle Wien sehen darüber hinaus unsere Aufgabe darin, Bewusstsein zu schaffen und Hilfestellung für die Bereiche zu bieten, in denen die Wienerinnen und Wiener vor der ganzen Bandbreite an tierischen Produkten stehen und nicht wissen, was dahinter steckt, wie im Lebensmittel-Einzelhandel oder in der Gastronomie. Da setzen wir vor allem auf Transparenz für die KonsumentInnen. So haben wir bereits Einkaufsführer zu den Themen Schweinefleisch und Milchprodukte veröffentlicht, weitere sind in Planung.
Zusätzlich setzen wir uns auf politischer Ebene dafür ein, dass tierische Produkte und Bestandteile sowohl in der Gastronomie als auch im Handel endlich nach Herkunft und Haltung gekennzeichnet werden. Wenn solch eine gesetzliche Kennzeichnungsverpflichtung kommt, dann wäre das ein Meilenstein, der sicherlich viel für die Tiere tun würde.
Herzlichen Dank für das Interview!
Links und weiterführende Infos:
Wiener Lebensmittelaktionsplan:
https://www.tieranwalt.at/de/Wien-isst-GUT.htm
Pressetext – OekoBusiness Wien: Mehr Bio und Tierwohl für Großküchen:
Die Initiative Gutes Gewissen – Guter Geschmack:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/gutes-gewissen.html
Ökokauf:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/lebensmittel-beschaffung.html
ÖKOKAUF-Positionspapier Lebensmittel:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/pdf/lebensmittel-positionspapier-lang.pdf
Einkaufsführer der Wiener Tierschutzombudsstelle zum Schweinefleischkauf:
https://www.tieranwalt.at/fxdata/tieranwalt/prod/media/Schweinefleischf%C3%BChrer.pdf
Studien der Wiener Umweltschutzabteilung zu Tierschutz, Umweltschutz und Ernährung:
https://www.wien.gv.at/kontakte/ma22/studien/nachhaltigkeit.html
Gutes Gewissen – Guter Geschmack: Videodokumentation zum Pressehintergrundgespräch 2018
Gutes Gewissen – Guter Geschmack: Videodokumentation zur Fachtagung 2018
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