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Interview: Neuauflage der Broschüre „Nahrungsquelle Donaustadt“

LEBENSMITTEL - ERNÄHRUNG - STADTLANDWIRTSCHAFT

Die Versorgung mit nachhaltigen, regionalen und gesunden Lebensmitteln hat in Wien hohen Stellenwert. „Nahrungsquelle Stadt“ – das bedeutet zum einen, dass die Wienerinnen und Wiener die vielfältigen Produkte der landwirtschaftlichen Betriebe Wiens kennen und genießen. Zum anderen spielen Lebensmittelprojekte „zum Mitmachen und Reinbeißen“ eine wichtige Rolle – beispielsweise Obstparks oder Gemeinschaftsgärten im öffentlichen Raum. All das ist nicht nur Genusserlebnis, Bewusstseinsbildung und Naturerfahrung, sondern gelebte nachhaltige Entwicklung. Denn regionale Produkte haben hohen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Mehrwert und Mitmachprojekte fördern die Sensibilität und Offenheit der Menschen für Umweltschutz, Natur, Gesundheit und den Wert von Lebensmitteln.

Anlässlich der Neuauflage der Broschüre „Nahrungsquelle Donaustadt“ durften wir mit Gemeinderat Josef Taucher und Bezirksrätin Cornelia Trinko, der Agendabeauftragten der Donaustadt, über den Mehrwert regionaler Produkte und lokaler Lebensmittelinitiativen sprechen.

Interview

Die Broschüre Nahrungsquelle Donaustadt erscheint nun bereits in der vierten Auflage und hat sich in den letzten Jahren zum großen Erfolg entwickelt. Wer hat sie initiiert, welche Gedanken standen dabei im Vordergrund?

Josef Taucher: Die Idee, regionale ProduzentInnen, GärtnerInnen und alternative Lebensmittelkooperationen vor den Vorhang zu holen, kam vom ehemaligen Donaustädter Bezirksvorsteher Norbert Scheed (verstorben 2014) und von mir. Die Donaustadt ist ein weitläufiger Bezirk mit vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Mit der Broschüre wollten wir eine Art Nachschlagewerk kreieren, in dem nachhaltige und innovative Wiener Betriebe vorgestellt werden, die uns täglich mit frischen regionalen und saisonalen Produkten versorgen. Wir wollen die Wienerinnen und Wiener auf diese Betriebe und ihre hochwertigen Produkte aufmerksam machen und einladen, regional zu kaufen.

Es geht dabei auch um den Mehrwert im Sinne der Nachhaltigkeit: unseren Umgang mit Nahrungsmitteln, deren Produktion, den CO2-Fußabdruck, um Solidarität und ein respektvolles Miteinander und letztlich um eine enkerlgerechte Zukunft. Genuss kommt von Genügsamkeit – wir müssen uns bewusst machen, dass wir nur diesen einen Planeten haben, mit dem wir sorgsam umgehen müssen. Bewusster Umgang mit Lebensmitteln und der Konsum – der Genuss – regionaler Produkte leisten hier einen essentiellen Beitrag zur Vision einer guten und lebenswerten Zukunft im Rahmen der Belastbarkeitsgrenzen der Natur.

Was erwartet uns in der Neuauflage der Broschüre?

Cornelia Trinko: Die Leser*innen dieser Broschüre können sich auch in dieser vierten, überarbeiteten Auflage wieder auf interessante Informationen rund um nachhaltige Projekte, spannende Menschen und großartige Initiativen freuen, die unseren Bezirk nachhaltig und lebenswerter machen. Im Fokus stehen die regionalen Produzent*innen, Gärtner*innen und Landwirt*innen, die uns ihre Betriebe und Produkte vorstellen und zeigen, wie nachhaltige Lebensmittelproduktion auch in einer Millionenstadt möglich ist. Es freut mich besonders, dass wir als Lokale Agenda Donaustadt dieses wunderbare Nachschlagewerk in Zusammenarbeit mit fantastischen Partnern wie unserem Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy, Gemeinderat, SPÖ-Klubvorsitzendem Josef Taucher – dem Initiator der Broschüre – sowie dem Ökosozialen Forum Wien zum vierten Mal auflegen können.

Josef, du bist nach eigenen Angaben von Herzen Umweltpolitiker. Die Welt steht vor großen Herausforderungen. Auf der großen politischen Bühne muss viel geschehen. Warum sind angesichts so großer Herausforderungen „kleine“ Projekte wie Obstparks und Gemeinschaftsgärten wichtig, und was ist das besondere an ihnen?

Josef Taucher: Ja, ich bin von Herzen Umweltpolitiker. Vor allem aber sehe ich mich als Menschenpolitiker – also jemand, der Politik im Interesse der Menschen und einer lebenswerten Welt für alle macht, und zwar nachhaltig. Dazu müssen wir ganz selbstverständlich auf die Natur Rücksicht nehmen, denn sie ist unsere Lebensgrundlage – unsere einzige Lebensgrundlage. Für mich als Politiker bedeutet das, unsere wunderbare Stadt möglichst lebenswert und gleichzeitig möglichst umwelt- und ressourcenschonend zu gestalten.

„Als Politiker können wir für den Rahmen für kommunale nachhaltige Entwicklung schaffen und gestalten – beispielsweise indem wir lokale Betriebe unterstützen, vorbildliche Initiativen fördern oder Green Jobs schaffen und ausbauen.“

Josef Taucher, Donaustädter Gemeinderat und Vorsitzender des SPÖ-Klubs im Wiener Gemeinderat

In einer Zeit, in der industrielle Nahrungsmittel unsere Esskultur bestimmen, braucht es gerade heute ein stärkeres Bewusstsein dafür, woher unsere Lebensmittel kommen und vor allem, welche Auswirkungen ihr Konsum auf Tier, Mensch, Umwelt und unsere Arbeitswelt haben. Dazu ist es wichtig, dass wir uns wieder bewusst machen, wie unsere Lebensmittel entstehen, wie sie verarbeitet werden und wie sie letztendlich schmecken. Als Politiker können wir für den Rahmen für kommunale nachhaltige Entwicklung schaffen und gestalten – beispielsweise indem wir lokale Betriebe unterstützen, vorbildliche Initiativen fördern oder Green Jobs schaffen und ausbauen. Angesichts dessen sind lokale Projekte und Initiativen wie die Obststadt Wien wichtig – denn hier können die Leute direkt in Kontakt mit den Lebensmitteln und der Natur kommen.

Ebenso wichtig ist, dass die Stadt beispielsweise mit ÖkoKauf – dem ökologischen Beschaffungsprogramm der Stadt Wien – oder der Inititative „Gutes Gewissen- Guter Geschmack“ ihre Hebel nutzt, um den Nachhaltigkeit in der Ernährung zu stärken. Mit dem Organic Cities Network Europe tauschen wir uns europaweit mit anderen Städten darüber, tragen die Wiener Ideen in die hinaus und schauen, welche Ideen und Good Practice Ansätze wir nach Wien holen können.

Liebe Cornelia, du bist Agendabeauftragte der Donaustadt. Was bedeutet kommunale Nachhaltigkeit für dich und was sind eure Ziele mit der Agenda Donaustadt? Woran arbeitet ihr?

Cornelia Trinko: Als Lokale Agenda Donaustadt haben wir uns dem Leitbild der nachhaltigen Bezirksentwicklung verschrieben. Wir wollen dabei die Lebensumstände und die Umweltqualität nachhaltig weiterentwickeln. Die Donaustadt soll trotz ihres Bevölkerungswachstums auch in Zukunft der grünste Bezirk Wiens sein. Spezielles Ziel der Lokalen Agenda Donaustadt ist es dabei, den Donaustädter*innen verschiedene Möglichkeiten zu bieten, um ihren Bezirk lebenswerter zu gestalten. Dies geschieht über kleine und große Veränderungen, die in Summe aber ein zusammenhängendes Ganzes ergeben.

Eine kommunale Nachhaltigkeitsstrategie kann in meinen Augen nur erfolgreich sein, wenn viele Menschen aktiv daran beteiligt sind und ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und verantwortungsbewussten Umgang mit unserer Umwelt geschaffen wird.“

Cornelia Trinko, Bezirksrätin und Agendabeauftragte der Donaustadt

Eine kommunale Nachhaltigkeitsstrategie kann in meinen Augen nur erfolgreich sein, wenn viele Menschen aktiv daran beteiligt sind und ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und verantwortungsbewussten Umgang mit unserer Umwelt geschaffen wird. Zusammen arbeiten wir dann an der Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität unseres Bezirks. Eine besonders aktive Zusammenarbeit gibt es an dieser Stelle bereits zwischen der Lokalen Agenda Donaustadt und dem Bezirk. Gemeinsam konnten schon zahlreiche Projekte und Initiativen realisiert werden.

Lieber Josef, was sind deine Zukunftsvisionen für die Lebensmittelversorgung in Wien? Welche Handlungsfelder und Hebel gibt es hier? Welchen Stellenwert haben Lebensmittel in der Stadt?

Josef Taucher: Wien ist im internationalen Vergleich zu anderen Grossstädten auf dem besten Weg, Bio-Hauptstadt zu werden. Schon heute werden fast 30 % der landwirtschaftlichen Fläche Wiens biologisch bewirtschaftet, und die Stadt legt bei der Beschaffung über ÖkoKauf Wien großen Wert auf hohe Bioanteile und Regionaliät in der Gemeinschaftsverpflegung. Die Nachfrage nach frischen, regionalen und biologisch produzierten Lebensmitteln ist so hoch wie nie zuvor – ein Trend, den ich sehr unterstütze. Ich wünsche mir, dass wir alle unseren Sinn für Nachhaltigkeit auch in Zukunft weiter vertiefen und ausbauen können. Dabei geht es nicht nur um den Umgang mit Nahrungsmitteln – vom Boden bis zum Teller -, sondern auch um Mobilität, Verkehr, Energiegewinnung und Energieverbrauch sowie selbstverständlich auch um soziale Aspekte. Kooperationen und ein respektvolles Miteinander sind die Zukunft einer erfolgreichen, nachhaltigen und lebenswerten Stadt und Gesellschaft.

Cornelia, was sind deine Visionen im Bereich Lebensmittel und Natur für den Bezirk? Warum setzt du dich als Lokalpolitikerin in diesem Bereich ein?

Cornelia Trinko: Die Bezirksfläche der Donaustadt nimmt ein Viertel der Bundeshauptstadt ein. Eine Besonderheit der Donaustadt ist der große Grünraumanteil, der rund 54% beträgt und mit 5.570 Hektar größer als die Fläche von Wiens zweitgrößtem Bezirk Floridsdorf ist. Etwa die Hälfte dieses Grünraums wird landwirtschaftlich genutzt. Die überwiegend familiär geführten landwirtschaftlichen Betriebe leisten einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Wiener*innen mit regionalen und nachhaltigen Nahrungsmitteln. Auch wenn die Zahl der Einwohner*innen in der Donaustadt stark wächst, wünsche ich mir, dass wir auch in Zukunft auf diese Besonderheit in unserem Bezirk Acht geben und sie fördern und erhalten. Gerade als Lokalpolitikerin sehe ich es als meine Aufgabe, hier einen Rahmen zu schaffen, der ein gedeihliches Nebeneinander von Nahrungsmittelproduzent*innen und Bewohner*innen ermöglicht. Ein Beispiel für ein solches respektvolles Nebeneinander ist das Asperner „Lobauwegerl“, welches zum Gesamtkonzept des Lobau Vorlandes gehört. Spazieren, Radfahren und genießen ist hier inmitten einer intakten Landwirtschaft möglich. Achtsamkeit und gegenseitiger Respekt sind hier das Gebot der Stunde.

Angenommen, wir wären morgen im Jahr 2030 – was würdet ihr euch für Wien im Nachhaltigkeits- und Lebensmittelbereich wünschen? Was hat sich verändert? Und: von welchem Obststadt-Baum würdet ihr Früchte pflücken?

Josef Taucher: Ich ziehe die letzte Frage vor und entscheide mich für den „Kronprinz Rudolf“ Apfelbaum. Er zählt zu den selteneren Sorten und seine Früchte schmecken einfach wunderbar saftig und süß.

Und zur anderen Frage – wenn ich an die Zukunft denke, dann denke ich an faire Arbeitsbedingungen, an Green Jobs, die im Jahr 2030 eine Selbstverständlichkeit sein sollten, an regionale autarke Versorgung mit frischem Obst und Gemüse. Das Bewusstsein der Menschen für Nachhaltigkeit ist im Jahr 2030 soweit geschärft, dass sie sorgfältig mit Lebensmitteln umgehen und Lebensmittelabfälle weitgehend vermeiden. Das Essen auf dem Tisch der Wienerinnen und Wiener stammt aus nachhaltiger, regionaler Produktion, ist gesund und geschmackvoll und besteht zu einem Großteil aus Gemüse, der Fleischkonsum hat abgenommen. Anders gesagt: wir leben 2030 in einem noch lebenswerteren und nachhaltigeren Wien, in dem es den Menschen gut geht, inmitten einer wunderbaren Stadtnatur. Gutes Essen und bewusste Ernährung gehören zu guten Leben für alle in Wien natürlich dazu.

Cornelia Trinko: Auch meine Vision für das Jahr 2030 beinhaltet ein hohes Bewusstsein der Menschen für die Nahrungsmittelproduktion wie auch für deren Konsum. Die Wienerinnen und Wiener der Zukunft legen Wert auf regionale Produkte und schätzen die Arbeit der Nahrungsmittelproduzent*innen vor Ort. Weite Transportwege werden vermieden, statt exotischer Raritäten landet hauptsächlich frisches und heimisches Gemüse auf dem Teller. Der Sinn für Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ist in allen Lebensbereichen – vom Arbeiten bis hin zur Freizeit – geschärft. Gemeinsam haben die Menschen der Zukunft eine lebenswerte und zukunftsfitte Stadt geschaffen.

Und ganz klar: Ich werde saftige, rote Kirschen pflücken. Schon als Kind habe ich die reifen Kirschen für den Kuchen im Garten meiner Großeltern mitten in der Donaustadt selbst gebrockt. Das Rezept hat mir meine Großmutter übrigens weitergegeben und mittlerweile backe ich selbst diesen köstlichen Kuchen – natürlich auch nur mit selbst gebrockten Kirschen.

Herzlichen Dank für das Interview!

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Broschüre „Nahrungsquelle Donaustadt“

Link zum Download als PDF

Bestellung der Printausgabe: E-Mail an info@agendadonaustadt.at

Link zum Bericht der Lokalen Agenda 21 Donaustadt über die Broschüre

Links und weiterführende Infos:

Lokale Agenda Donaustadt (LA21):
https://www.agendadonaustadt.at/home.html

Obststadt Wien – freies Obst für alle:
https://wien.obststadt.at/

Gemeinschaftsgärten in Wien:
https://www.garteln-in-wien.at/gemeinschaftsgaerten-und-nachbarschaftsgaerten/

Wildkräuter in Wien:

https://ökosozial.at/wien/was-wir-tun/wildkraeuter/

Wiener Lebensmittelaktionsplan – Wien isst G.U.T.:
https://www.tieranwalt.at/de/Wien-isst-GUT.htm

Die Initiative Gutes Gewissen – Guter Geschmack:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/gutes-gewissen.html

Ökokauf Wien:
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/
https://www.wien.gv.at/umweltschutz/oekokauf/lebensmittel-beschaffung.html

Organic Cities Network:
https://www.bioforschung.at/ma-49-und-bio-forschung-austria-als-mitbegruender-des-organic-cities-network-europe/

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