Nur wenige Freihandelsabkommen haben in den vergangenen Jahren für so heftige Kontroversen gesorgt wie das zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay). Seit mehr als 20 Jahren wird um das Abkommen gerungen. Portugal, historisch eng mit Südamerika verbunden, will seine EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2021 nutzen, um den Vertrag auf die Zielgerade zu bringen.
Geht es nach dem Willen der Befürworter, würde damit eine der größten Freihandelszonen der Welt entstehen. Die EU erhält mit dem Abkommen Zugang zu einem Markt von 260 Millionen Verbrauchern, und europäische Unternehmen könnten sich jährlich bis zu vier Milliarden Euro an Zöllen sparen. Auf europäischer Seite erhofft sich insbesondere die mächtige Automobilindustrie Exportchancen und drängt auf das Abkommen. Geplant ist eine Zoll-Senkung für Automobile um 35% – für die durch Corona stark gebeutelte Auto-Industrie mit mehr als 3 Millionen Beschäftigten in ganz Europa ein massiver Impuls.
Soja, Rind- und Hühnerfleisch
Auf südamerikanischer Seite rechnet sich insbesondere die Agrarindustrie steigende Gewinne durch einen besseren Zugang zum EU-Markt aus. Konkret würden die zollbegünstigten Einfuhrquoten für Rind- und Hühnerfleisch um die Hälfte ansteigen, für Bioethanol auf Zuckerrohrbasis sogar um das Sechsfache. Ansteigen würden auch die argentinischen Sojaexporte, da eine Halbierung der Exportabgaben geplant ist.
Doch den ökonomischen Gewinnen stehen klare ökologische und soziale Verluste gegenüber. Experten gehen davon aus, dass der Handelspakt in den Mercosur-Staaten die Ausweitung von Sojafeldern, Weideflächen und Zuckerplantagen begünstigen würde. Das sind die Haupttreiber von Regenwald-Zerstörung und der Vertreibung indigener Völker sowie von damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen.
Deal gegen den Amazonas-Regenwald
Greenpeace hat in diesem Zusammenhang aufgezeigt, dass im vergangenen Jahr mehr als zwei Drittel aller brasilianischen Amazonas-Brände in den Produktions-Regionen für Rindfleisch loderten. Vor diesem Hintergrund wirke der geplante Handelsdeal wie ein „Brandbeschleuniger“ so Greenpeace. Insbesondere in Folge der Brandrodung hat das Rindfleisch aus Übersee eine wesentlich schlechtere Klimabilanz als Fleisch aus Europa.
Die heimische Landwirtschaft hat übrigens den mit Abstand geringsten CO2-Fußabdruck bei Rindfleisch (vgl. Abbildung). Gerade sie würde aber durch die Billig-Importe in Folge des Handels-Abkommens stark unter Druck geraten. Mit einem Anteil von rund 70% der Betriebe ist die Rinderhaltung das Rückgrat der Kärntner Landwirtschaft. Johann Mößler, Präsident der Landwirtschaftskammer befürchtet: „Viele Bauern würden die damit verbundenen Einkommensverluste nicht verkraften und aufgeben!“
Europaweit haben sich mittlerweile bereits mehrere Länder, darunter auch Österreich, gegen den Abschluss des vorliegenden Handelspakts ausgesprochen. Wenn jedoch auf Grund der Corona-Krise der wirtschaftliche Druck steigt, könnte dies den Befürwortern des Mercosur-Deals in die Hände spielen. Bleibt zu hoffen, dass der Handelspakt in der vorliegenden Form dennoch abgelehnt wird. Den Preis dafür würden einmal mehr die Umwelt und Kleinbauern in Südamerika und Europa zahlen müssen.
Mercosur im Widerspruch zum Europäischen Green Deal
Den Grundstein für die Ideologie des Freihandels hat der britische Ökonom David Ricardo vor rund 200 Jahren gelegt. Durch Arbeitsteilung und Außenhandel würden alle Staaten profitieren und ihren Wohlstand maximieren. So die Theorie. In der Praxis hat der Welthandel zwar massiv zum globalen Wirtschaftswachstum beigetragen, aber auch zu einer extremen Ungleichverteilung des erreichten Wohlstandes geführt. Und die Wertschöfpung hat sich vor allem dorthin verlagert, wo Sozialstandards und Umweltgesetze eine besonders billige Produktion ermöglichen.
„Diese Form der Wirtschaft tötet!“ bringt es Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ auf den Punkt. Das wird auch beim Freihandelsabkommen der EU mit Südamerika deutlich. Autos gegen Rindfleisch lautet das Motto. Die Vernichtung von Lebensräumen und Existenzen wird mit Verweis auf Wohlstandsgewinne in Kauf genommen.
Die Position der EU ist doppelbödig. Während die EU-Kommission mit dem Green Deal Europa bis 2050 klimaneutral machen will – was absolut zu befürworten ist – werden weiterhin klimaschädigende Abkommen abgeschlossen und die durch Importe ausgelösten Folgen für Umwelt und Menschen weitgehend negiert.
Aus ökosozialer Sicht ist es höchste Zeit für eine neue Ära in der EU-Handelspolitik. Als zweitgrößter Importeur der Welt muss die EU ihre Stellung nutzen, um sukzessive dieselben Umwelt- und Sozialstandards von ihren Handelspartnern einzufordern, die auch innerhalb der Union gelten. Das war auch die Grund-Idee der EU-Erweiterung und hat die Umwelt-Qualität und die Sozialstandards in ganz Europa verbessert. Die ökologische und soziale Verantwortung ist fest in den Grundwerten der EU verankert. Sie muss nun auch mit gleicher Konsequenz in ihrer Außenhandelspolitik verankert werden. Ansonsten bleiben zukünftige Handelsabkommen am Ende nur ein fauler Deal für Umwelt und Mensch.
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