Montag, 31. Jänner 2022 – 09:00 bis 11:30 Uhr
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Die Regionalität gewinnt bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zunehmend an Bedeutung. Was die Menschen damit verbinden, kann jedoch enorm divergieren. Relative Einigkeit herrscht bei einem meist romantisch verklärten Bild. Daher diskutierten die Expertinnen und Experten beim Fachtag Berg&Wirtschaft Perspektiven der Berglandwirtschaft in der Vermarktung und Chancen durch innovative Ideen. Insbesondere in der Kooperation zwischen Landwirtschaft und Gastronomie, aber auch in einzelnen Nischen schlummern für die „Produktion am Berg“ noch immense Potenziale, so die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Zudem fördert der GAP-Strategieplan kleinere Betriebe und Junglandwirte, um den eigenen Betrieb zukunftsfit aufzustellen und entsprechend zu vermarkten. Ergänzt werden die Vorträge und die Diskussion in der Mediathek durch Beiträge zu den Auswirkungen des Wolfs auf die Landwirtschaft und Jagd. Der zweite Teil widmete sich den Chancen von Kooperationen in der Produktion und Vermarktung.
Der Präsident des Ökosozialen Forums, Stephan Pernkopf, betonte, dass es „ohne Herkunft keine Zukunft“ gibt: „Ohne Herkunft gibt es keine Sicherheit. Nur wenn ich weiß, wo etwas herkommt, weiß ich, wie es produziert wurde und ob es verfügbar ist. Wir haben aus der Pandemie gelernt, dass wir etwa durch unterbrochene Lieferketten verwundbarer geworden sind. Aber – und das ist insbesondere für den Fachtag Berg & Wirtschaft wichtig: Der ländliche Raum ist ein Gewinner der Pandemie, sei es durch die gestiegene Nachfrage nach regionalen Produkten oder durch die gestiegene Attraktivität.“ „Eine enge Vernetzung von Betrieben ist unbedingte Voraussetzung für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Damit können wir Kreisläufe schließen, die Lieferketten kurz halten und ein großer Teil der Wertschöpfung verbleibt in der jeweiligen Region. Die Digitalisierung bietet hier Möglichkeiten für die Zusammenarbeit und die gemeinsame Vermarktung. Eine Region profitiert ebenfalls, indem sie ein eigenes und unverwechselbares kulinarisches und landwirtschaftliches Gesicht erhält“, so Stephan Pernkopf.
Günther Botschen vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus an der Universität Innsbruck, kam in seinem Vortrag zum Schluss, dass „Werte- und Bedeutungswelten, die mit Regionalität verbunden werden, positive Resonanz auslösen.“ Er nannte 10 Thesen für einen Resonanz-wirksamen Marketingmix, die den produzierenden Betrieben Orientierung geben sollen:
1.) Echter multisensorischer Genuss verleiht regionalem Flügel und vermeidet Ladenhüter.
2.) Bio verstärkt diesen Effekt und erleichtert die Durchsetzung von Preisen im Handel.
3.) Exklusive Spezialitäten bergen Anziehungskräfte und fördern die Nicht-Austauschbarkeit.
4.) Regionale Rohstoffveredelung erfreut Kunden und Margen von Anbietern.
5.) Ohne einfachste Erreich- und Sichtbarkeit bleibt auch Regionalität ein übersehenes und damit verschmähtes Gut.
6.) Auch das „kleinste Regional“ lässt sich digitalisieren und online vermarkten.
7.) Direkt vermarktete Regionalität besticht bei Aussehen und Frische durch den Naschmarkt-Charakter und vermeidet Kunstwelten.
8.) Regional: „Da weiß ich, wo es herkommt und wie es gemacht wird.“
9.) Erleb- und Nachvollziehbarkeit der Anstrengungen in der Wertschöpfungskette erleichtern die Preisdurchsetzung.
10.) Der Bindungsstoff Dienstleistung wird oft übersehen, z.B. Markttage oder die Zustellung.
Leopold Kirner, Professor an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien, nannte in seinem Vortrag Herausforderungen in der Berglandwirtschaft: „Wir haben weniger Einkommen in den bergbäuerlichen Betrieben im Vergleich zu den nicht-bergbäuerlichen. Sie sind im Schnitt kleiner und topografisch benachteiligt und können damit nicht in einem Ausmaß wachsen, wie größere Betriebe. Deshalb ist die Frage: Welche Alternativen gibt es?“ Dazu skizzierte Kirner einige Beispiele: „Man kann es auf drei Optionen herunterbrechen: die Spezialisierung oder Wachstum in der Urproduktion, die Differenzierung durch Qualität oder eine Nische sowie die Erwerbskombination. Die Hofnachfolger wollen einer aktuellen Befragung zufolge in erster Linie auf Qualität setzen. Der GAP-Strategieplan bietet ihnen neue Möglichkeiten:
- Mehr Geld für die ersten Hektar, also für flächenmäßig kleinere Betriebe,
- umfangreiche Kombinationsmöglichkeiten im Rahmen der Umweltgerechten und Biodiversitätsfördernden Wirtschaftsweise (UBB),
- der Ausbau der Weidehaltung, Tierwohl-Stallhaltung und Heuwirtschaft oder
- eine zielgerichtete Unterstützung für Junglandwirte.
Die Botschaft der Politik ist: Das Handeln sollte in die eigene Hand genommen werden. Es gibt viele neue Chancen, die sich auftun und die man nützen sollte.“
Anita Siller vom Untersillerhof in Neustift beleuchtete die Kooperation zwischen Landwirtschaft und Gastronomie: „Eine Zusammenarbeit mit der Gastronomie schließt für mich den Wertschöpfungskreis in der Region: vor Ort produziert, veredelt und konsumiert. Die Veredelung unserer Lebensmittel durch einen Koch, der sein Handwerk mit der gleichen Leidenschaft ausübt wie wir Bauern, ist die größte Wertschätzung, die man erfahren kann. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, aufeinander zuzugehen, ins Gespräch zu kommen und sich gegenseitig zu unterstützen. Der Konsument will Transparenz und regionale hochwertige Lebensmittel und nur wir Bauern haben die Möglichkeit, diese zu produzieren. Wir Bauern müssen allerdings lernen, uns zu ergänzen. Aktuell ist es so: Funktioniert ein Produkt, springen andere auf den Zug auf und ein Preisdruck entsteht. Wir müssen uns untereinander auch viel besser vernetzen. Ein Vorbild kann die Gastronomie sein: Wenn jemand ein gutes neues Produkt hat, dann erzählt er es seinen Kollegen und hat die beste Werbung: persönliche Weiterempfehlung.“