Experten am Fachtag Kommunikation der 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums: Menschen wollen regionale Produkte und am Land wohnen, bei der regionalen Produktion gilt jedoch: „not in my backyard“.
Wien: Das Ökosoziale Forum diskutierte heute beim Fachtag Kommunikation im Rahmen der Wintertagung 2022 mit Vertreterinnen und Vertretern von Medien, Kommunikation und Marketing Voraussetzungen für ein erfolgreiches Kommunizieren von Regionalität. Sie reflektierten die vorherrschenden Images in klassischen und sozialen Medien und gingen auf Herausforderungen und Problembereiche ein. Daraus wurden anschließend notwendige Maßnahmen und Lösungsansätze für die Praxis und die Kommunikation abgeleitet. Sie betonten, dass Medien und Social Media eine zentrale Rolle spielen, um eine Verbindung zwischen den Menschen und der Landwirtschaft herzustellen. In der Mediathek sprechen Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels, der Gastronomie, des Onlinehandels, der Jagd und der Werbung über die jeweilige Definition von Regionalität und runden den Fachtag ab.
Pernkopf: Medien sind Brückenbauer zu Regionen
Der Präsident des Ökosozialen Forums, Stephan Pernkopf, hebt positive Entwicklungen in der Landwirtschaft durch die Corona-Pandemie hervor: „Zum einen ist die Nachfrage nach regionalen Produkten gestiegen, zum anderen wollen immer mehr Menschen am Land und in den Regionen wohnen. Vor allem bei der Lebensmittelversorgung gilt: Ohne Herkunft keine Zukunft und keine Sicherheit. Denn nur wenn ich weiß, wo das Produkt herkommt, weiß ich, wie es produziert wurde und ob es verfügbar ist. In der Pandemie haben wir oft erlebt, dass aufgrund unterbrochener Lieferketten Güter knapp geworden sind. Auch jetzt ergeben sich durch hohe Energiepreise Einschränkungen: Der hohe Gaspreis hat zu stillgelegten Produktionen bei Düngemitteln geführt. Die Folge: weniger Nährstoffe am Feld, weniger Ertrag, weniger Versorgungssicherheit und global steigender Hunger. Den Medien und der Kommunikation obliegt es, das zu vermitteln und Brücken zwischen Betrieben und den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu bauen.“
Jelenko-Benedikt: Drei Viertel der Menschen eng mit Region verbunden
„Die Regionen mit ihrer Vielfalt, Lebensqualität und ihren Potenzialen sind Österreichs Lebensadern. Medien sind dabei Mittler und Gestalter“, so Maria Jelenko-Benedikt, Chefredakteurin der Regionalmedien Austria AG. „Es gibt eine starke Verwurzelung der Menschen zu den Regionen, in denen sie leben. Durch die Pandemie hat sich das verstärkt. Viele Menschen sind aufs Land gezogen und haben sich einen Zweitwohnsitz geschaffen. Menschen fokussieren in Krisenzeiten auf ihre unmittelbare Nähe, weil das Vertrauen und Sicherheit schafft. Ergebnisse einer IFES-Studie aus 2021 bestätigen das: Für 43 Prozent ist der Lebensmittelpunkt das Stadtviertel, der Ort und allenfalls der Nachbarort. Für 28 Prozent ist es die Bezirksebene und nur 29 Prozent sind mobiler. Die Hälfte der Befragten will sich auch für die eigene Region engagieren.“
Hebein: Kommunikation muss Akzeptanz für regionale Produktion schaffen
Michaela Hebein, Managing Partner bei der Kapp Hebein Partner GmbH, betont in ihrem Vortrag, dass Regionalität Bio zwar schon vor über 10 Jahren als Haupttrend abgelöst hat, dass aber die Diskrepanz zwischen Wahrheit und Wahrnehmung zu einem Vertrauensverlust führen kann: „Es gibt keine allgemeingültige Definition für Regionalität, sondern einen Wildwuchs. Da 80 Prozent der Menschen regionale Lebensmittel bevorzugen, braucht es eine klare Definition, um eine Enttäuschung zu vermeiden. Dabei stellt sich die Frage nach der Machbarkeit eines regionalen Produkts und einer Kreislaufwirtschaft, wie dies z.B. bei der Kalundborg-Symbiose passiert, bei der unterschiedliche Industriebetriebe jeweils die Abfallstoffe des anderen nützen. Die Zahl der Betriebe im Lebensmittelhandwerk ist in Österreich jedoch seit vielen Jahren stark rückläufig. Bei vielen Bauprojekten in der Wirtschaft und Landwirtschaft gibt es zudem enorme Widerstände in der Bevölkerung. Die Menschen wollen also regionale Produkte, bei der Produktion gilt jedoch das Motto: „not in my backyard“. Dem müssen wir uns in der Kommunikation stellen. Das heißt: Wenn der Konsument weiterhin auf regionale Produkte vertrauen soll, braucht es eine allgemein gültige bzw. gesetzliche Definition von Regionalität, eine entsprechende Kommunikation sowie eine Akzeptanz der Menschen. Und es braucht eine Re-Regionalisierung der Wertschöpfungsketten, denn regionale Produkte gibt es nur mit einer regionalen Produktion.“
Der 69. Wintertagung 2022 immer und überall folgen
Die 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums findet auch dieses Jahr digital statt. Das ermöglicht es, den Vorträgen und Diskussionen jederzeit und überall live zu folgen sowie mitzudiskutieren. Videos der Veranstaltung sowie weitere spannende Vorträge zu unterschiedlichen Aspekten und Themen können zudem in der Mediathek nachgesehen werden. Die Expertinnen und Experten analysieren dabei den Status quo in der landwirtschaftlichen Produktion, künftige Herausforderungen sowie Potenziale der Landwirtschaft in den einzelnen Bereichen. Ziel sind Ideen und Lösungsansätze für eine nachhaltige, zukunftsfitte und dynamische Landwirtschaft.
Ausblick: Fachtage Ackerbau, Gemüse-, Obst- & Gartenbau sowie Geflügelhaltung
Der Fachtag Ackerbau am 1. Februar zum Thema „Herkunft kennzeichnen – Perspektiven für die regionale Wertschöpfungskette von Agrarprodukten“ erörtert die Chancen des Ackerbaus in Österreich sowie Potenziale des Green Deals und des AMA-Gütesiegels für die Vermarktung und Imagebildung. Anschließend diskutieren die Expertinnen und Experten die Bedeutung einer Herkunftskennzeichnung für die regionale Wertschöpfungskette. Ergänzt werden die Inhalte von Beiträgen in der Mediathek, die sich dem Potenzial von Eiweißpflanzen und Innovationen am Feld widmen.
Zum Thema „Entwicklungen in der Branche – vor, während und nach der Pandemie“ sprechen die Expertinnen und Experten am Fachtag Gemüse-, Obst- und Gartenbau über die Regionalität in Zeiten einer Pandemie sowie über Kontrollsysteme im Im- und Export. Anschließend reflektieren sie regionale Lieferketten, Regionalität und Preis als Verkaufsargumente sowie Chancen und Hindernisse für die Produzenten. Die Mediathek-Beiträge zu den Themen Vermarktung von Regionalität, Herkunftsregelungen, Lebensmittelbetrug und Einkaufsverhalten runden den Fachtag ab.
„Hohe Standards und regionale Herkunft – Neue Perspektiven für die Geflügelbranche?“ lautet die zentrale Frage des Fachtags Geflügelhaltung am 1. Februar. Dabei erörtern die Expertinnen und Experten u.a. Perspektiven für die hohen Standards in Österreich als Vorbild für Europa. Sie diskutieren zudem, ob und wie Regionalität, Herkunftskennzeichnung und Tierwohl positive Effekte erzielen können. Die Mediathek-Beiträge widmen sich der Tiergesundheit und Zukunftstrends in der Geflügelhaltung.