(v.l.n.r.) Bundesministerin Elisabeth Köstinger, Präsident Stephan Pernkopf

Wintertagung 2022 – Fachtag Agrarpolitik: Green Deal muss bäuerliche Betriebe stärken

Presseaussendung

Expertinnen und Experten fordern am Eröffnungstag der 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums ein Umdenken und mehr Verlässlichkeit in der Agrarpolitik. 

Wien: Am heutigen Eröffnungstag der Wintertagung 2022 des Ökosozialen Forums Österreich & Europa widmeten sich die Expertinnen und Experten traditionell der Agrarpolitik. Beim Live-Webinar zum Thema „Zukunft dank Herkunft – Ist der Spagat zwischen globalen Märkten und regionaler Versorgung zu schaffen?“ diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ideen für die Agrarpolitik und Perspektiven für die Bäuerinnen und Bauern. Demnach steigen die Herausforderungen für die Landwirtschaft, da sich international schwelende Konflikte und rückläufige Ernten auf den Weltmarkt auswirken und zu steigenden Preisen führen. Der Green Deal wiederum wird für das betriebliche Management und die bäuerlichen Einkommen negative Folgen haben. Daher sollten die Betriebe in der regionalen Produktion unterstützt werden, um in Österreich und Europa eine hohe Selbstversorgung sicherstellen und unabhängiger von Importen aus Drittländern sein zu können. Dazu wird es innovative Ideen und ein Möglichmachen auf betrieblicher Ebene brauchen, so die Expertinnen und Experten. Sie fordern zudem ein Umdenken in der Agrarpolitik weg von Verboten und Regularien hin zum Heben von Potenzialen. Für den Eröffnungstag haben sich rund 820 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet und waren via Livestream dabei.  

Pernkopf: Green Deal muss gute Preise für Landwirtschaft bringen 

Stephan Pernkopf hebt die Ökosoziale Marktwirtschaft als wichtige Maßnahme hervor, „da dadurch der ländliche Raum gestärkt wird, weil man erkannt hat, dass es hier einen höheren Ausgleich bei der CO2-Bepreisung braucht“. Er verweist zudem auf die Lehren aus der COVID-Pandemie: „Sie hat zwei Dinge gezeigt: Wir sind verwundbarer geworden, was Lieferketten und damit die Versorgung mit Gütern anbelangt. Aber der ländliche Raum ist ein Gewinner. Das bestätigt eine Umfrage des Österreichischen Gemeindebundes, wonach drei Viertel der Befragten einen deutlich steigenden Trend zu regionalen Produkten erkennen. Die Bäuerinnen und Bauern geben dem ländlichen Raum zudem ein Gesicht und tragen damit zum Tourismus und zur Wertschöpfung in den Regionen bei.“ Um das zu erhalten, braucht es ein Umdenken der EU-Kommission, so Stephan Pernkopf: „Wenn der Green Deal dazu führt, dass spürbar weniger Lebensmittel in Europa produziert werden, dann ist das der falsche Weg. Das führt zu mehr Abhängigkeit, mehr CO2-Ausstoß und höheren Preisen. Wir wollen gute Preise für die Bäuerinnen und Bauern, als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Für mich ist klar: Ohne Herkunft keine Zukunft! Herkunft gibt Sicherheit. Nur dann weiß man, wie etwas produziert wird. Die Kennzeichnung ist ein Bürgerrecht.“ 

Köstinger: Gegeneinander im Lebensmittelsystem beenden 

Österreichs Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Elisabeth Köstinger, verweist in ihrem Vortrag auf Meldungen der letzten Tage, wonach durch den Lebensmitteleinzelhandel und durch Verarbeitungsbetriebe enormer Druck auf Bäuerinnen und Bauern ausgeübt wird. Gleichzeitig werden große Massen an Lebensmitteln weggeworfen. „Dieses Verhalten und dieses Lebensmittelsystem müssen der Vergangenheit angehören. Bei einem Kilogramm Kalbsschnitzel sieht man das sehr deutlich: In den vergangen 10 Jahren hat der Handel 7 Euro mehr an einem Kilogramm verdient – bei den Bäuerinnen und Bauern um einen Euro. Es gibt zahlreiche Herausforderungen für die Landwirtschaft, seien es die volatile Marktsituation oder steigende Energie- und Betriebsmittelpreise. Das bringt die Bäuerinnen und Bauern unter Druck, die dementsprechend unsere Unterstützung brauchen.“ Sie appelliert zudem, dass Gegeneinander von Bio und konventioneller Landwirtschaft zu beenden: „Das bringt nichts. Wir müssen zusammenhalten und gemeinsam den unschätzbaren Wert der täglichen Arbeit der Bäuerinnen und Bauern aufzeigen.“  

Özdemir: Gemeinsam nachhaltiges Lebensmittelsystem gestalten 

Der Deutsche Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, verwies auf die lange Partnerschaft zwischen Deutschland und Österreich, die in der Vergangenheit wesentliche Änderungen in der europäischen Agrarpolitik ermöglichte: „Wenn die beiden Länder auf EU-Ebene und bilateral gemeinsame Ziele verfolgt haben, haben sie viel erreicht. Arbeiten wir weiterhin derart zusammen, werden wir Gestalter bei vielen Zukunftsfragen sein. In der Deutschen Bundesregierung bewegt sich jedenfalls etwas, denn sie steht für Fortschritt und Aufbruch insbesondere bei wichtigen Themen wie Klima- und Umweltschutz sowie einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Wir wollen künftig auch auf europäischer Ebene gemeinsam mit Partnern die Weichen stellen, um eine nachhaltige Lebensmittelproduktion zu erreichen. Die Bäuerinnen und Bauern müssen aber auch davon leben können, sprich einkommenswirksam produzieren können. Wir wollen in Deutschland eine Landwirtschaft mit guten Perspektiven als Grundlage für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. Ein nachhaltiges Ernährungs- und Agrarsystem ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und betrifft alle Stufen der Wertschöpfungskette.“  

Hauk: Landwirtschaft braucht Verlässlichkeit 

Der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, Peter Hauk, betont, dass es negative Stimmen zum Green Deal gibt, insbesondere was die Produktion und Erträge anbelangt. Er appelliert jedoch, auch einen Blick von einer anderen Seite zu wagen: „Erstens haben wir keinen Mangel an Lebensmitteln, sondern zum Teil eine Überproduktion. Wir müssen aber trotzdem alles tun, um die heimische Landwirtschaft zu stärken, und das ist die große Chance des Green Deals. Zweitens verfolgt der Green Deal das Ziel, die Versorgungssicherheit nicht zu schwächen, sondern zu stärken. „Wachse und weiche“ als Motto ist ausgereizt und hat zu ökologischen und sozialen Schäden geführt. Der Green Deal zielt darauf ab, die Überbeanspruchung der landwirtschaftlichen Flächen zu beenden. Das neue Motto heißt daher: Klasse statt Masse. Drittens bringt der Green Deal – ebenso wie die letzte GAP-Periode –, einen Produktivitäts- und Technologiefortschritt mit Digitalisierung, neuen Anbaumethoden und neuen landtechnischen Verfahren. Viertens wird es neue Agrarförderungen geben, dafür müssen wir jedoch um gesellschaftliche Akzeptanz werben. Was es bei allen diesen Maßnahmen und Plänen jedoch in erster Linie brauchen wird, ist eine hohe Verlässlichkeit und Planbarkeit. Nur dann wird aus unseren gemeinsamen Anstrengungen auch etwas werden.“  

Sullivan: Alte Wege funktionieren nicht mehr 

Paul Sullivan, Dozent am Atlantic Council, Global Energy Center und an der Johns Hopkins University in den USA, nennt zentrale Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, wie z.B. die Verschwendung von Ressourcen, Energie und Nahrungsmitteln, wirtschaftliche und soziale Spannungen sowie steigende Preise und labile Lieferketten. „Es braucht Leadership in den Ländern und international. Meine Empfehlung an die Europäische Union ist daher: Behaltet die Costs and Benefits des Green Deals im Auge und reflektiert die Probleme, die entstehen können und werden. Das heißt auch, flexibel zu bleiben und nicht den Regeln auf Punkt und Komma zu folgen. Und man muss stets ein Auge auf allen Ressourcen und insbesondere Wasser, Roh- und Nährstoffe sowie Energie haben und die Verschwendung reduzieren. Eine Lösung ist eine Kreislaufwirtschaft, die man in guten für schlechte Zeiten planen und umsetzen sollte. Eines ist klar: Die alten Wege funktionieren nicht mehr.“  

Der 69. Wintertagung 2022 immer und überall folgen 

Die 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums findet auch dieses Jahr digital statt. Das ermöglicht es, den Vorträgen und Diskussionen jederzeit und überall live zu folgen sowie mitzudiskutieren. Videos der Veranstaltung sowie weitere spannende Vorträge zu unterschiedlichen Aspekten und Themen können zudem in der Mediathek nachgesehen werden. Die Expertinnen und Experten analysieren dabei den Status quo in der landwirtschaftlichen Produktion, künftige Herausforderungen sowie Potenziale der Landwirtschaft in den einzelnen Bereichen. Ziel sind Ideen und Lösungsansätze für eine nachhaltige, zukunftsfitte und dynamische Landwirtschaft.  

Ausblick Fachtag Landtechnik: Innovative Technologien für nachhaltige Produktion 

Am 28. Jänner lädt das Ökosoziale Forum im Rahmen der Wintertagung 2022 zum Fachtag Landtechnik. Im Fokus stehen innovative Technologien und digitale Tools für eine nachhaltige Landwirtschaft, aber auch für eine Vernetzung der Betriebe. Die Spannweite reicht dabei von politischen Rahmenbedingungen über Landtechnik bis hin zu Apps. In der Mediathek stehen Beiträge mit Beispielen für einen Betriebsmitteleinsatz der Zukunft und zur Landtechnik in Berglagen zur Verfügung. Ein weiterer Beitrag reflektiert die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft.  

Fotos der Wintertagung 2022 finden Sie unter diesem Link.