Hühner

Wintertagung 2021: Unterschiedliche Produktionsstandards abbilden und gesamte Wertschöpfungskette in die Pflicht nehmen

Presseaussendung

Experten am Fachtag Geflügelhaltung der 68. Wintertagung des Ökosozialen Forums: Direktvermarkter und Geflügelbranche sind Gewinner der Krise, müssen aber jetzt ihre Chancen effizient nützen.

Am diesjährigen Fachtag Geflügelhaltung zum Motto „Zukunftsfit und krisenfest“ im Rahmen der Wintertagung 2021 des Ökosozialen Forums Österreich & Europa stand die Wertschöpfungskette im Fokus. Diese hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer Wertschöpfung, die nahezu ausschließlich am Hof stattgefunden hat, zu einem vielgliedrigen Prozess von der Aufzucht über die Futterproduktion bis hin zu Lieferwegen und Verkauf gewandelt. Das hat einige Vorteile, aber eben auch – wie gerade in der COVID-Krise spürbar wurde – Nachteile, wie die Experten in ihren Beiträgen betonten. Insgesamt waren heute ca. 550 Teilnehmerinnen und Teilnehmer via Livestream dabei.

Weil Zukunftsfitness in der Branche nur mit fitten Tieren gelingen kann, will das Ökosoziale Forum unter dem Motto „Vorbeugen ist die beste Medizin“ auch die Tiergesundheit beleuchten. Dazu stehen in der Mediathek Beiträge zur Gesundheit von Tieren als Voraussetzung für gesunde Lebensmittel sowie Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten bereit.

Mayrhofer: Heimische Geflügelbranche ist Vorreiter

„Sinn der Wintertagung ist die Interaktion mit den Bäuerinnen und Bauern, um Lösungen für die Branche zu entwickeln“, betonte der Generalsekretär des Ökosozialen Forums Österreich & Europa, Hans Mayrhofer, eingangs des Fachtags Geflügelhaltung. Das war auch Ziel für die Beiträge der Vortragenden und die anschließende Diskussion, die sich den Chancen durch die Corona-Krise und Tierwohlfaktoren widmeten. Dazu Mayrhofer: „Die Geflügelbranche in Österreich hat immer eine Vorreiterrolle eingenommen. In den letzten Jahrzehnten hat sie gezeigt, dass positive Veränderungen aktiv aus der Branche heraus passieren können. Es ist aktuell unbestritten eine schwere Zeit, aber es ist mit der Eikennzeichnung bis hin zur Putenproduktion dennoch geschafft worden, in der Wertschöpfungskette viele Dinge zu verändern.“

Karlhuber: Braucht EU-Mindeststandards bei Fleisch

Franz Karlhuber, Obmann der Zentralen Arbeitsgemeinschaft der Österreichischen Geflügelwirtschaft, beleuchtete in seinem Vortrag Herausforderungen und Chancen für Lege- und Mastbetriebe. „Wir haben bereits viele Veränderungen der Geflügelwirtschaft durchgemacht und sind auch bereit, uns weiter zu verändern und Verantwortung für Konsumentinnen und Konsumenten, Tiere und Umwelt zu übernehmen. Bei Legebetrieben ist es wichtig, dass wir einen gesunden Bestand haben. Die Geflügelpest ist in Europa bereits verbreitet, allerdings noch nicht in Österreich. Das müssen wir mit allen Mitteln aufrechterhalten.“

„70 Prozent der Österreicherinnen und Österreich sind sich sicher, dass wir Landwirtinnen und Landwirte unser Land mit Lebensmitteln versorgen können. Ein wesentlicher Trend durch die Corona-Krise ist, dass die Menschen in Österreich häufiger und gemeinsam kochen. Sie schauen beim Einkaufen zudem verstärkt auf Herkunft und kaufen österreichische Eier. Das bringt mich zu einem wichtigen Punkt: Wir brauchen dringen eine Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Produkten und in der Gemeinschaftsverpflegung. Denn es gibt viele Bereiche, in denen die österreichische Geflügelbranche Vorreiter ist: Nachhaltigkeit, Tierwohl, Lebensmittelsicherheit, gentechnikfreie Fütterung und Antibiotikaeinsatz. Wir brauchen dringend eine Servicestelle für nachhaltige Beschaffung von Ei und Geflügel, denn jene, die Produkte für öffentliche Kantinen beziehen und verarbeiten, brauchen diese Informationen. Uns ist auch wichtig, dass es einen EU-Mindeststandard gibt. Wenn Fleisch in Österreich verkauft wird, sollen unsere Standards eingehalten werden.“

Marksteiner: Gesamte Wertschöpfungskette betrachten und nicht nur Landwirtschaft

Den der Geflügelhaltung vorgelagerten Bereich stellte Adolf Marksteiner, Leiter der Abteilung Tierische Erzeugnisse der Landwirtschaftskammer Österreich, in den Fokus. Er betonte: „Wir können uns technologischen Errungenschaften und dem Fortschritt nicht verschließen. Die Frage „Impfen – ja oder nein?“ etwa ist in der Geflügelwirtschaft längst entschieden. Eine junge Henne erhält in Österreich in den ersten 17 Wochen mehr als 15 Impfungen. Das war der Weg, mit dem es der österreichischen Geflügelwirtschaft gelungen ist, den Einsatz von Tiermedizin und Antibiotika um 53 Prozent zu senken. Aber: Wir müssen natürlich jeden Fortschritt auch kritisch bewerten.“

„Die österreichische Geflügelwirtschaft ist bei Eiern und Mast auf einer sehr effizienten und produktiven Stufe angekommen und kann im internationalen Wettbewerb mithalten. Der Legehennenbestand wurde in den letzten 17 Jahren um zwei Millionen Hennen gesteigert und kann damit eine Selbstversorgung von 90 Prozent gewährleisten. Die österreichische Geflügelwirtschaft ist hier weiterhin auf einem erfolgreichen Weg. Aber wir müssen künftig mit weniger Input denselben oder mehr Output erreichen. Da gibt es viele Wege, etwa durch einen effizienteren Einsatz von Futtermitteln oder indem wir Verluste bei der Düngung und die Belastung von Luft, Boden und Wasser reduzieren. Immerhin 83 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger haben bei einer Eurobarometerumfrage im Herbst 2020 gesagt, dass sie sich von der europäischen Landwirtschaft mehr Nachhaltigkeit wünschen. Das ist ernst zu nehmen. Aber die Verluste entlang der Wertschöpfungskette werden auch Bestandteil der Farm to Fork-Strategie sein müssen, dass also nicht nur die Landwirtschaft allein ressourceneffizient ist, sondern die gesamte Wertschöpfungskette.“

„Der ökonomischen Vermutung, dass bei Lebensmitteln immer freierer Welthandel zu immer mehr Wohlstand führt, möchte ich klar entgegentreten. Der Mensch produziert am Globus mit höchst unterschiedlichen Methoden. Und treffen diese unterschiedlich produzierten Lebensmittel mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Standards auf dem Markt aufeinander, dann spiegelt sich die Ressourceneffizienz nicht im Preis wider. Auch das wird eine der Fragen der Farm to Fork-Strategie sein: Wie kann Europa darstellen, dass wir unsere Lebensmittel verantwortungsvoll erzeugen?“

Steidl: Geflügel erlebt Boom, da es einfacher verarbeitbar ist

Andreas Steidl, Geschäftsführer von Ja! Natürlich, präsentierte Erkenntnisse zum Konsumverhalten der Menschen in Österreich während und nach der Krise. „Dem Lebensmitteleinzelhandel ist es in der Krise im Vergleich zu anderen Sparten gut ergangen. Aber eine der großen Herausforderungen im ersten Lockdown war, dass wir oft nicht gewusst haben, ob wir am Montag noch ausreichend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die Tiere schlachten und zerlegen. Hier gab es durch die politischen Maßnahmen ein großes Fragezeichen. Auch die Nachhaltigkeit ist ein Profiteur, da insgesamt weniger weggeworfen wurde. Die großen Profiteure sind aber sicher die Direktvermarkter, denn die Nähe hat in der Krise einen entsprechenden Vorteil gehabt. Beim Eiabsatz haben wir 2020 ein Mengenplus von 11,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Es gab auch die besondere Situation, dass der Markt nach Ostern nicht zurückgegangen ist. Aber wir konnten damit nicht den Ausfall von Gastronomie und Tourismus kompensieren. Insgesamt ist zu sagen: Die Kundenfrequenz ist deutlich zurückgegangen, aber die Einkaufskörbe sind voller gewesen.“

„Geflügel hat 2020 um 13,7 Prozent zugelegt im Vergleich zu 7,4 Prozent beim Fleisch insgesamt. Das hängt damit zusammen, wie beweglich die Sparten in der Produktion sind und ob das Fleisch einfach und schnell zubereitet werden kann. Das spricht für Geflügel. Im März mit einem Plus von 18 Prozent konnte man in der kurzen Zeit die Produktion nicht so schnell anheben, aber im April waren es schon 24 und im Mai 27 Prozent Plus im Vergleich zum Vorjahr.“

Müssen authentisch kommunizieren und ein Ohr bei Kundinnen und Kunden haben

Hans-Peter Schlegl, Landwirt mit Legehennenhaltung, und Daniela Posch, Landwirtin mit Geflügelmast, sprachen über Chancen in der Direktvermarktung und ihre Erfahrung aus der Coronakrise.

Die Kundinnen und Kunden haben uns in der Krise als Direktvermarkter wahrgenommen“, sagte Posch. „Die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln ist enorm gestiegen – und das nicht nur in der Direktvermarktung. Wir müssen daher die Chance, die uns die Krise bietet, mit aller Kraft nützen, auch wenn Vermarktung und Organisation eine Herausforderung sein werden. Es gibt aber großes Potenzial bei Hofläden, indem sie besser zusammenarbeiten und Vermarktungsgenossenschaften gründen. Denn können die Kundinnen und Kunden bei einem Einkauf möglichst viele Grundnahrungsmittel einkaufen, dann wird die Direktvermarktung noch einfacher. Wir haben einen großen Vorteil gegenüber dem Handel. Wir haben den direkten Kontakt zu den Kundinnen und Kunden und fördern damit den Dialog zwischen Landwirtschaft und Konsumentinnen und Konsumenten. Wir sind das Fundament der österreichischen Kulinarik.“ 

Schlegl zeigte auf, dass der Absatz von Eiern durch den Wegfall von Gastronomie und Tourismus im ersten Lockdown eingebrochen ist. „Das haben wir aber durch die Nachfrage in der Direktvermarktung kompensieren können. Die Gastronomie konnte im Sommer wieder öffnen und hatte hier ein Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr, also konnten auch wir unseren Absatz ausbauen. Jetzt im dritten Lockdown stagniert der Absatz von Bodenhaltungseiern erneut. Wir können aber sagen, dass der Absatz hier künftig generell schwieriger wird und Freiland- und Tierwohleier stärker nachgefragt werden. Daher sollten wir Landwirtinnen und Landwirte uns auf diese Bereiche konzentrieren. Wir sollten generell das Ohr an den Kundinnen und Kunden haben und schauen, was sie ansprechen. Ich sehe hier Convenience und weiterverarbeitete Produkte als Chance.“

Wintertagung 2021 in neuem Format

Bei der 68. Wintertagung macht sich das Ökosoziale Forum von 21. bis 28. Jänner 2021 mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf die Suche nach Lösungsansätzen für eine nachhaltige, zukunftsfitte und resiliente Wertschöpfungskette bei Lebensmitteln. Unter dem Motto „Gemeinsam is(s)t man besser: Gemeinsam aus der Krise lernen. Gemeinsam zukunftsfit werden.“ werden Wege und Perspektiven für die Landwirtschaft erörtert. Dabei sind jede und jeder gefordert, mitzudiskutieren und mitzumachen – das neue, digitale Gesicht der Wintertagung 2021 macht es möglich: Alle neun Fachtage stehen online und kostenfrei als Live-Webinare zur Verfügung und werden durch Beiträge in der Mediathek erweitert und ergänzt!

Ausblick: Fachtage Schweinehaltung und Berg & Wirtschaft

Zukunftsorientiert – das ist das Motto des kommenden Fachtages Schweinehaltung am 27. Jänner der Wintertagung 2021 des Ökosozialen Forums. Schweinefleisch ist nach wie vor das beliebteste Fleisch der Österreicherinnen und Österreicher und aus vielen Küchen und dem Gasthaus nicht wegzudenken. Zudem ist es ein Exportschlager bis nach Asien. Doch mit der COVID-Krise kamen zahlreiche neue Herausforderungen. Die Expertinnen und Experten gehen daher der Frage nach, wie sich die Branche besser auf die nächste Krise vorbereiten kann und wirtschaftlich erfolgreich bleibt. Antworten darauf, wie die jungen Schweinebäuerinnen und -bauern Anforderungen wie Umwelt- und Klimaschutz sowie Regionalität unter einen Hut bekommen und wie sie sicherstellen können, dass das Lieblingsfleisch der Österreicherinnen und Österreicher trotz Gesundheits-, Wirtschafts- oder Imagekrise in der nachgefragten Menge auf den Teller kommt, finden sich in der Wintertagungs-Mediathek.

Kuhurteil, große Beutegreifer, Vermüllung und Mountainbiker: Konfliktpotenzial gibt es auf den Almen genug. Jede Nutzungsgruppe – ob Landwirtschaft, Tourismus- und Freizeitwirtschaft oder Umweltschutz – sieht in der Regel die eigenen Ansprüche als berechtigt an und blendet jene von anderen Gruppen gerne aus. Beim Fachtag Berg&Wirtschaft am 27. Jänner im Rahmen der Wintertagung 2021 des Ökosozialen Forums wollen die Expertinnen und Experten die verschiedenen Ansprüche unter einen Hut – oder zumindest an einen Tisch – bringen. Sie zeigen zudem Synergien auf und stellen ihre Ideen vor, um unsere Almen krisenfest zu machen. Der Best-Practice-Teil steht ihnen online in der Wintertagungs-Mediathek zur Verfügung. Dort werden innovative Initiativen und alternative Vermarktungsmöglichkeiten von Almwirtschaftsprodukten vorgestellt. Diese sollen die Bäuerinnen und Bauern dazu ermutigen, aus den üblichen Bahnen auszubrechen und etwas Neues zu versuchen.

Detaillierte Informationen zur Wintertagung 2021 sowie die Mediathek finden Sie unter https://oekosozial.at/unsere-themen/landwirtschaft/wintertagung-2021-2/wintertagungs-mediathek/