Der globale Onlinehandel wächst rasant. Der größte Umsatzanteil entfällt heute schon auf China. Laut Prognose der Datenplattform Statista wird das Reich der Mitte heuer voraussichtlich Umsätze in Höhe von über einer Billion US-Dollar im Onlinehandel erzielen. Manche Händler:innen nutzen dabei rechtliche Schlupflöcher gezielt aus und unterwandern Standards zu Produktsicherheit und Umweltauflagen. Wie dieser Problematik begegnet werden kann, stand im Zentrum der von der Bundessparte Handel der Wirtschaftskammer und dem Ökosozialen Forum organisierten Diskussion „Wettbewerb in Schieflage“ am 24. Juni in Wien.
Der Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich, Rainer Trefelik, zog in der Analyse der derzeitigen Situation eine Parallele zum Sport: „Der Vergleich mit dem Fußball drängt sich auf: Würden für gegnerische Mannschaften unterschiedliche Reglements gelten, wären die Fans auf den Barrikaden. Auch in der Wirtschaft kann es Fairness nur dann geben, wenn alle am selben Spielfeld nach denselben Regeln spielen.“ Trefelik appellierte auch an die Jungen. Jene Altersgruppe, die auf Klimademos geht ist auch jene, die über Billigplattformen einkaufe. Wenn wir soziale Sicherheit, eine intakte Umwelt und eine funktionierende Wirtschaft mit einem Lehrstellenangebot haben wollen, dann passe das nicht zusammen. Er fordert daher vermehrte Kontrollen und Kostenwahrheit ein: „Es könne nicht sein, dass ein Paket von Wien nach Amstetten mehr kostet als von Shenzhen nach Wien mit dem Flugzeug.“
Ähnlich argumentierte Start-up-Experte und Gründer von New Venture Scouting Werner Wutscher. Er forderte rasche Maßnahmen, um einen fairen Wettbewerb zu sichern: „Für den Onlinehandel sind gleiche Wettbewerbsbedingungen essenziell – unsere Händlerinnen und Händler müssen die geltenden EU-Standards im Bereich Soziales und Umwelt einhalten und geraten durch Dumpingprodukte, die im Wege von internationalen Onlinehändlern nach Österreich kommen, immer mehr unter Druck.“ Wutscher sieht hier die Politik gefordert, die „Flagge zeigen muss“:
Eine dieser Maßnahmen könnte die Zollfreiheit betreffen. Andrea Reuter, Bereichsleiterin im Zollamt Österreich, ließ mit einer wichtigen Forderung aufhorchen: „Das Finanzministerium setzt sich für ein Vorziehen der Regelungen das E-Commerce im Rahmen der geplanten Zollreform der EU ein. Insbesondere soll der beabsichtigte Entfall der Zollfreiheit für Sendungen bis zu einem Wert von 150 Euro schon vor 2028 erfolgen. Außerdem sollen durch eine umfassende Modernisierung, die unter anderem die Einführung einer EU-Zolldatenplattform, eine verstärkte Regulierung von E-Commerce-Plattformen und die Einführung einer EU-Zollbehörde vorsieht, der europäische Binnenmarkt und der faire Handel geschützt sowie gleiche Spielregeln für alle geschaffen werden.“
Auch ARA-Prokurist Reinhard Pinter forderte eine Anpassung der Regelungen: „Die Onlineplattformen (und nicht die Einzelhändler) müssen in die Pflicht genommen werden UND es bedarf einfacher sowie leicht überprüfbarer Regelungen. Gesetzliche Anforderungen (ohne erkennbaren Nutzen) wie z. B. eine beglaubigte Vollmacht sind grundlegend zu überdenken, ‚amtliche‘ IT-Erfordernisse den heute geltenden notwendigen Standards anzupassen.“ An den Kosten für die Abfallsammlung, -trennung und -sortierung beteiligen sich nur jene, die in den heimischen Abfallsystemen eingebunden sind. Hier gibt es Schlupflöcher, die dazu führen, dass die Allgemeinheit die Kosten für jene mitbezahlt, die außerhalb des Systems agieren. Pinter brachte die Problematik auf den Punkt: „Derzeit sind die Braven die Dummen und wir sind die Dummen“.
Christian Holzer, Leiter der Sektion „Umwelt und Kreislaufwirtschaft“ im Klimaministerium ortete demgegenüber weniger einen Anpassungsbedarf bei den Vorgaben für den Onlinehandel als eine verstärkte Marktüberwachung: „Der Onlinehandel unterliegt speziell im Abfall- und Produktrecht generell denselben Vorgaben wie der stationäre Handel. Neben verstärkter Marktüberwachung und der verwaltungsrechtlichen Durchsetzung entsprechender Pflichten bedarf es insbesondere auf europäischer Ebene einer Weiterentwicklung von Produktvorgaben (Stichwort: Ökodesign-Verordnung) sowie von Herstellerverpflichtungen.“ Holzer nahm auch die Konsument:innen in die Pflicht. „Es geht nicht, dass Herr oder Frau Österreicher drei paar Schuhe bestellt, um zu sehen, ob Größe 42,5 oder 43 oder 43,5 besser passt und dann alle oder zumindest zwei davon wieder zurückschickt.“
Hans Mayrhofer, Generalsekretär des Ökosozialen Forums, wies in seiner Begrüßung auf die Bedeutung eines fairen Wettbewerbs als Grundpfeiler einer Ökosozialen Marktwirtschaft hin: „Ein Markt kann nur funktionieren, wenn die gleichen Spielregeln für alle gelten. Diese Spielregeln müssen durch die Politik vorgegeben werden. Kostenwahrheit und Verursacherprinzip sind dabei die elementaren Bausteine. D. h. auch die für die Allgemeinheit entstehenden Kosten müssen dem Verursacher angelastet werden. Umweltschutz, Produktsicherheit und Arbeitsrechte müssen für alle gelten – gleichermaßen. Das ist derzeit nicht der Fall. Deshalb hat die Politik hier einen klaren Handlungsauftrag.“
V.l.n.r.: Christian Holzer, Leiter der Sektion „Umwelt und Kreislaufwirtschaft“ im Klimaministerium, Start-up-Experte und Gründer von New Venture Scouting Werner Wutscher, Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer Österreich, Andrea Reuter, Bereichsleiterin im Zollamt Österreich, ARA-Prokurist Reinhard Pinter und Moderatorin Elisabeth Mayerhofer.