Mit dem bekannten politischen Analytiker Peter Filzmaier sprach denk.stoff über das politische Interesse der Jugend, das Versagen der Parteien in moderner Kommunikation und warum sich die Politik vor allem um die Anliegen der Alten kümmern.


Ist die heutige Jugend in Österreich an Politik interessiert?

Peter Filzmaier: Ja, allerdings nicht an Parteipolitik. An gesellschaftspolitischen Themen sind Junge genauso stark interessiert oder desinteressiert wie andere Altersgruppen auch. Bei Teenagern beobachten wir sogar ein überdurchschnittliches Interesse. Die politische Bildung in der Schule funktioniert also. Schwierig sind hingegen die Twens. Diese Gruppe ist aufgrund aktueller persönlicher Veränderungen in diesem Alter – neuer Wohnort, Berufseinstieg, Abschluss des Studiums etc. – politisch weniger interessiert als die Jüngeren.

Wird die Jugend von der Politik berücksichtigt?

Peter Filzmaier: Zu wenig. Das ist aus rechnerischen Gründen nachvollziehbar. Weniger als ein Fünftel der Wahlberechtigten in Österreich ist unter 30 Jahre alt, aber fast die Hälfte ist über 50. Demographisch haben wir keine Bevölkerungspyramide mehr. Die Altersverteilung entspricht vielmehr einem Pilz. Das ist für Wahlen, aber auch für die Interessenpolitik von Bedeutung. Bei der Volksbefragung über die Wehrpflicht hat sich das gezeigt. Mit ihrem Stimmverhalten haben jene entschieden, die von einer Abschaffung oder Beibehaltung der Wehrpflicht nicht mehr direkt betroffen sind. Das Durchschnittsalter der Wähler nähert sich bei 50 Jahren.

Heißt das, dass sich – angesichts der Bevölkerungsprognosen – künftig daran nichts zugunsten der Jungen ändern wird?

Peter Filzmaier: Laut den Prognosen wird im Jahr 2030 das Durchschnittalter der Wahlberechtigten in den meisten Bundesländern bei 60 Jahren liegen. Wer in 16 Jahren wählen gehen soll, muss jetzt schon geboren sein. Wenn wir nicht von Masseneinbürgerungen (die Staatsbürgerschaft ist ja Grundbedingung für das Wahlrecht) ausgehen – und das ist ein höchst unwahrscheinliches Szenario –, dann wird der Anteil der jungen Stimmberechtigten zurückgehen. Umso mehr liegt es in der Verantwortung von Politik und Gesellschaft, die Interessen dieser zahlenmäßig schrumpfenden Gruppe einzubeziehen.

Wählen mit 16 – Anstoß für politische Bildung

Was hat das Herabsetzen des Wahlalters auf 16 bewirkt?

Peter Filzmaier: Dazu gibt es allererste Langzeitstudien. 2008 durften erstmals 16-Jährige wählen. Sie sind heute 24. Der vorsichtige Trend zeigt, dass sich das politische Interesse erhöht hat. Wählen mit 16 ist in erster Linie ein Symbol, aber ein wichtiges Symbol. Es ist weder Rettung noch Untergang einer Demokratie. Ein Land ist nicht mehr oder weniger demokratisch, weil man dort ab 16 oder erst ab 18 wählen darf.

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»Die Volksbefragung zur Wehrpflicht haben jene ent­ schieden, die nicht mehr betroffen sind. Das Durch­ schnittsalter der Wähler nähert sich 50 Jahren.«

Peter Filzmaier ist Universitätsprofessor für Demokratiestudien und Politikforschung an der Donau-Universität Krems und für Politische Kommunikation an der Karl Franzens-Universität Graz.

Wählen mit 16 war aber ein wichtiger Anstoß für die politische Bildungsarbeit. Vieles von dem, was heute gut läuft, wäre ohne Herabsetzen des Wahlalters womöglich nicht passiert. In vielen Schulfächern wird dies nun verstärkt berücksichtigt und die Einführung des Pflichtmoduls „Politische Bildung“ ab der sechsten Schulstufe mit dem kommenden Schuljahr sind wichtige indirekte Wirkungen von Wählen mit 16.

Beteiligen sich junge Menschen anders als ältere?

Peter Filzmaier: Junge beteiligen sich. Aber Beteiligung verändert sich und sieht heute anders aus als früher. Junge Menschen binden sich nicht ein Leben lang – nicht an Parteien, nicht an Vereine. Sie sind eine Zeit lang dabei und engagieren sich, machen dann aber wieder etwas anderes. Davon sind Parteien genauso betroffen wie andere Organisationen.

Politische Parteien sind in Österreich klassische Mitgliederorganisationen. Da tritt man in jungen Jahren ein und bekommt ein Parteibuch. Die Kommunikation ist institutionalisiert, es gibt eine Mitgliederzeitung. Der Parteikassier sammelt die Mitgliedsbeiträge ein. Es gibt Parteitreffs zu fixen Zeiten im Parteilokal. Für Junge ist das eine völlig fremde Welt. Und Parteien haben auf diese Veränderungen später reagiert als andere Organisationen. Ein Grund dafür ist wohl auch, dass – wie angesprochen – alte Wählergruppen zahlenmäßigattraktiver sind.

Heute braucht es für die politische Kommunikation eine Mischung aus neuen Medien und kurzfristigen, spontanen Treffen, damit meine ich jetzt nicht Flashmobs, aber etwas, das in Verbindung mit der Lebenswelt der jungen Menschen steht. Die treffen sich nicht jeden Montag um 19 Uhr. Aber der direkte, persönliche Austausch ist von Zeit zu Zeit auch wichtig.

Jugendliche interessieren sich nicht nur für Jugendthemen

Braucht es neue/andere Kanäle der politischen Kommunikation oder andere Beteiligungsformen?

Peter Filzmaier: Thematisch müssen Parteien das gesamte politische Spektrum ansprechen. Jugendliche interessieren sich nicht nur für klassische Jugendthemen. So wie sich Frauen nicht nur für Frauenthemen und Senioren nicht nur für Seniorenthemen interessieren. Jedes Thema des ganzen politischen Spektrums hat einen Jugendaspekt. Auch das Pensionsthema ist für Junge wichtig, weil auch sie später einmal für ihre Beiträge eine Pension haben wollen.

Durch die Verwendung von Kanälen der Sozialen Medien sollten sich die Parteien nicht dazu hinreißen lassen, sich anzubiedern. Über-50-Jährige müssen nicht in der Diskothek Techno tanzen, um glaubhaft zu vermitteln, dass sie eine Politik für Junge machen. Das gelingt derzeit aber noch allen Parteien kaum. Am ehesten vielleicht noch FPÖ und Grünen.

SPÖ und ÖVP zählen derzeit vor allem auf ältere Stammwähler. Wahlkampfmanagern kann man das im Wahlkampf nicht wirklich vorwerfen. Das ist angesichts der Wählerstruktur vernünftig. Aber wahlfreie Zeiten wären für Parteien geeignet, Junge stärker zu berücksichtigen. Bisher sind die Versuche über Symbolismus nicht hinausgegangen. Es wurde beispielsweise ein Zwergenministerium für Familien und Jugend geschaffen, das aus einer einzigen kleinen ehemaligen Sektion hervorgegangen ist. Und selbst jetzt gibt es nur eine Jugendabteilung dort.

Wie beurteilen Sie die politische Bildung in Österreich?

Peter Filzmaier: Hier hat sich viel verbessert, wenn man den geschichtlichen Hintergrund berücksichtigt. Jahrzehntelang wurde in Österreich die Aufarbeitung des Nationalsozialismus verabsäumt. Im Unterschied zu Deutschland, das als Täterland viel offensiver auftreten musste, damit die Alliierten das Grundgesetz akzeptierten. Österreich hat sich in seine Opfertheorie geflüchtet und als erstes Opfer Nazideutschlands betrachtet – und nicht als teilweise Täter und teilweise Opfer. Der Staatsvertrag war nicht an die Bedingung der Aufarbeitung der Nazizeit gekoppelt. Nach 1970 haben Parteiakademien begonnen, sich mit der problematischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Anfänglich war die Aufarbeitung sehr stark an Parteien gebunden. Ich will die Bedeutung die Parteiakademien nicht kleinreden, aber es braucht gleichzeitig auch die Auseinandersetzung in den Schulen.

Im Vergleich zu früher haben die Bemühungen zur Demokratieerziehung in den Schulen zugenommen. Bei der Erwachsenenbildung rangiert das Angebot an politischer Bildung aber immer noch – vom Umfang her, nicht in Sachen Qualität – im Bereich von Esoterikseminaren oder Kochkursen. Es gibt kein klares System, im Gegensatz zum Schulbereich. Die Teenager werden in den Schulen erreicht. Aber die Twens – und die sind wie gesagt eine Problemgruppe – sind mit dem System nicht mehr erreichbar. Hier brauche ich die Erwachsenenbildung.

Wichtig wäre, Junge und Ältere gemeinsam an einen Tisch zu bringen. Ich werde zu vielen Veranstaltungen eingeladen. Aber entweder sind nur Unter-30-Jährige anwesend oder nur Über-50-Jährige. Wir bräuchten viel mehr Veranstaltungen, bei denen ein Generationendialog stattfindet. Hier sind die offene Jugendarbeit, die Erwachsenenarbeit, alle Parteien und die Sozialpartner gefordert.