Bei der Eröffnung der diesjährigen Wintertagung sprach Clemens Sedmak über die Zusammenhänge von Bioökonomie und Ethik. Er plädierte für eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Menschen und appellierte, bei Veränderungen vor allem die verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft im Auge zu behalten. denk.stoff fasst seine wichtigsten Botschaften zusammen.
Ein Begriff
Bioökonomie definiere ich als nachhaltiges Wirtschaften auf der Basis erneuerbarer und biologischer Ressourcen – in der Regel gestützt von wissenschaftlicher Forschung. In diesem Sinn ist Bioökonomie nicht neu. Bauern und Bäuerinnen arbeiten seit jeher so, vielleicht nicht immer auf Basis wissenschaftlicher Forschung, aber auf Basis von lokalem Wissen. Das hat sich bewährt
Zwei große Herausforderungen
Derzeit sind wir mit zwei großen Herausforderungen konfrontiert: einerseits mit einer Veränderungen unseres Wertefundaments und andererseits mit der Tragik der Allgemeingüter. Um von einer fossil-basierten auf eine biobasierte Wirtschaftsweise umzustellen, brauchen wir eine Veränderung unseres Wertefundaments. Wir müssen uns dafür von alten Denkgewohnheiten lösen. In der derzeit weit verbreiteten Logik sind die zwei wichtigsten Fragen: Was kostet das? Und wer zahlt das? Diese Logik stößt aber immer mehr an Grenzen. So beispielsweise beim Klimawandel. Aufgrund des steigenden Meeresspiegels versank die Insel New Moore Island 2010 im Golf von Bengalen. Die Fragen, was kostet das und wer zahlt das, machen in diesem Zusammenhang keinen Sinn mehr: Die Insel ist weg.
Im Umgang mit Knappheiten gibt es einerseits den Vorteil, dass Ressourcen gebündelt werden. Andererseits besteht der Nachteil, dass Alternativen nicht so leicht erkannt werden. Mit Achtung vor den knappen Ressourcen die vorhandenen Alternativen zu sehen, das meine ich mit Wertewandel. Wir müssen uns jetzt darüber unterhalten, was wir in einer postfossilen Ära machen wollen, nicht erst dann, wenn uns der Ölpreis so an die Wand drängt, dass wir nicht mehr über Alternativen nachdenken können.
»Bei der Organisation der Märkte für neue Technologien müssen wir besonderes Augenmerk auf die schwächsten und verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft legen.«
Die zweite große Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist die Veränderung des Sozialgefüges, um der Tragik der Allgemeingüter zu entkommen. Was die Klimaverhandlungen bisher zum Scheitern verurteilt? Alle Beteiligten verfolgen ihre Ziele rational und agieren vernünftig, aber in der Gesamtheit ist das Ergebnis alles andere als vernünftig. In einem komplexen Sozialgefüge können wir dieses Dilemma nur durch neue Formen der Kooperation überwinden. Bioökonomie ist eine Einladung zu neuen Formen der Kooperation: von Wissenschaften untereinander (wie Biologie und Ökonomie), von Wissenschaft und Wirtschaft, Wirtschaft und Politik und vielleicht am wichtigsten von Politik und Ethik.
Die meisten Bürger sind nicht gut informiert, haben zum Teil Angst. Im Diskurs um Bioökonomie besteht die Sorge, dass toxische Märkte geschaffen werden. Debra Satz von der Stanford University beschreibt Märkte als toxisch, auf denen mit extrem delikaten Gütern (z. B. Organhandel) gehandelt wird oder besonders verwundbare Menschen (z. B. Kinder) agieren. Solche Märkte machen das Sozialsystem kaputt. Deshalb sollten wir bei der Organisation der Märkte für neue Technologien besonderes Augenmerk auf die verwundbarsten Mitglieder der Gesellschaft legen.
Drei ethische Herausforderungen
Die drei wichtigsten ethischen Herausforderungen in diesem Zusammenhang sind Kosten, Subsidiarität und Urteilskraft. Zu den Kosten: Veränderungen – in unserem Fall der Umbau der fossil-basierten Ökonomie auf eine Bioökonomie – verursachen Kosten. Man muss den Menschen aber auch sagen, dass unsere heutige Wirtschaftsweise Kosten verursacht. Wir können nicht erwarten, auf dem derzeitigen Niveau ohne Lebensstiländerung einfach weitermachen zu können – das wäre unrealistisch. Veränderungen produzieren aber auch neue Gewinner und neue Verlierer. Das ist eine ethische Herausforderung, wir müssen uns genau ansehen, wer verliert. Weil wenn es zu Veränderungen kommt, werden sich jene dagegen wehren, die von der jetzigen Ordnung profitieren.
Zur Subsidiarität: Wenn Bioökonomie mit einem sehr hohen technischen Aufwand verbunden ist, dann besteht die Sorge, ob kleine Einheiten in diesem System bestehen können. Grundsätzlich soll gelten: Was bei den kleinen Einheiten belassen werden kann, soll auch dort belassen werden.
Die dritte Herausforderung ist die Urteilskraft: Bei technologisch geprägten Veränderungen trübt manchmal der technische Fortschritt die Urteilskraft. Drei Viertel der Expeditionen auf den Mount Everest sind gescheitert – viele davon besonders gut ausgerüstete, weil man sich rein auf die Technik verlassen und die Urteilskraft außer Kraft gesetzt hat.
Vier Transformationsfaktoren
Für erfolgreiche Veränderung braucht es vier Faktoren: ein Umfeld, das es den Menschen leicht macht, der Veränderung zu folgen. Das ist auch eine politische Aufgabe. Dann braucht es die richtigen Einladenden. Das müssen Menschen sein, die möglichst auf Augenhöhe mit anderen agieren. Drittens müssen die Menschen glauben, dass ihr Leben durch die Veränderung besser wird. Und letztlich sollte ihr Status nicht sinken.
In der Alternsforschung gibt es den Begriff Gero-Transzendenz, der beschreibt das Phänomen, dass sich mit zunehmendem Alter die Wertvorstellungen eines Menschen langsam von materiellen zu immateriellen Werten verschieben. Bioökonomie ist in diesem Sinn Zeichen eines reifer werdenden Planeten und kann auch – bei der richtigen Umsetzung – zu einer Reifung der moralischen Menschheitsgeschichte, zu einem sanften Übergang zu immateriellen Werten, werden.
Hier können Sie den Vortrag nochmals ansehen.
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