Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde – auch im Supermarkt stehen wir vor Regalen voller Produkte mit Gütesiegeln, Zertifizierungen, Standards, Marken und Auslobungen. Sie sollen den KonsumentInnen Orientierung geben, aufgrund der Fülle der Zeichen ist aber häufig das Gegenteil Fall. Bei der Diskussionsveranstaltung im Rahmen des Bildungsclusters unter dem Titel „Siegel gut – alles gut?“ diskutierten namhafte Expertinnen und Experten über Nachhaltigkeitskennzeichnungen und ihren Nutzen entlang der Lebensmittelkette.
Siegfried Pöchtrager vom Institut für Marketing und Innovation an der BOKU wies darauf hin, dass Nachhaltigkeitssiegel jeweils nur ausgewählte Nachhaltigkeitsbereiche abdecken – häufig stehen ökologische Fragen im Vordergrund, manchmal ethische oder soziale Aspekte. Die Ökonomie hingegen wird meist kaum berücksichtigt. Aktuell beobachtet er einen Trend weg von den Standards hin zum Setzen von Zielen, die alle drei Nachhaltigkeitsbereiche abdecken. Der wirtschaftliche Erfolg von Standards ist vor allem auch eine Geldfrage. Die Werbung zur Bekanntmachung ist mit hohen Kosten verbunden, die der Standard langfristig tragen muss. Je erfolgreicher sich ein Standard etabliert hat, umso mehr kann der Eigentümer die Regeln vorgeben. Pöchtrager fordert in diesem Zusammenhang, dass die Landwirtschaft ihre verlorene Verhandlungsmacht in diesem Bereich wieder zurückgewinnen müsse.
Meike Packeiser von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft sieht in der Nachhaltigkeitskennzeichnung auch einen Nutzen für die Landwirtschaft. Diese stehe in Deutschland momentan mit dem Rücken zur Wand. Solche Auszeichnungen können helfen, die Landwirtschaft wieder in die gesellschaftliche Mitte zur rücken und öffentliche Mittel für die öffentlichen Leistungen von Bäuerinnen und Bauern zu rechtfertigen.
WWF-Experte Axel Hein setzt in der Nachhaltigkeitsauszeichnung vor allem auf Transparenz und Rückverfolgbarkeit. Aufgrund seiner Erfahrungen mit dem MSC-Siegel bei Fisch bewertet er Siegel als wichtige Entscheidungshilfe für Konsumenten, da diese die Kaufentscheidung, für die sich die Menschen in der Regel nur sehr kurz Zeit nehmen, erleichtern. Wichtig ist, dass die Nachhaltigkeitssiegel von akkreditierten Organisationen und vertrauenswürdigen Dritten durchgeführt werden. Das unterscheidet sie von Eigenmarken, die keinen Wert für den Kunden haben.
Tanja Dietrich-Hübner von der Handelskette REWE kontert den Vorwürfen, dass die Werbung die Konsumenten nicht informiere und nur schöne Bilder zeige, mit den Worten: Werbung ist keine Schulstunde. Die Nachhaltigkeitsinitiativen des Lebensmitteleinzelhandels werden ständig weiterentwickelt, so dass Best Practice immer mehr zum Standard wird. Nachhaltigkeitslabels haben auch für den Produzenten einen Mehrwert. Es ist eine Auslobung, für jene, die mehr tun als gesetzlich vorgeschrieben. Ein Label ist damit auch eine Präsentationsfläche.
Der Leiter des AMA-Marketing-Qualitätsmanagements Martin Greßl sieht bei der Nachhaltigkeitskennzeichnungen die ganze Lebensmittelkette gefordert. Von den Vorprodukten wie Saatgut oder Futtermittel über die landwirtschaftliche Produktion und Verarbeitung bis zu Logistik und Handel sowie der Verwendung durch den Konsumenten. Dies stellt bei Monoprodukten bereits eine Herausforderung dar. Bei komplexer werdenden Produkten wie beispielsweise eine Fertigpizza ist dies derzeit noch schwierig.