Ehrenpräsident Josef Riegler hielt bei den Europatagen der HBLFA Raumberg-Gumpenstein eine vielbeachtete programmatische Grundsatzrede über den Beitrag der Ökosozialen Marktwirtschaft für die Zukunft Europas.
Mutig in die neuen Zeiten – es geht um unsere gemeinsame Zukunft in einer friedlichen Welt
von Josef Riegler
Was ist Ökosoziale Marktwirtschaft? Was ist ihr Wesenskern?
Die Ökosoziale Marktwirtschaft ist ein Modell der Balance für eine nachhaltige und friedvolle Entwicklung. Ziel ist das richtige Gleichgewicht zwischen einer leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Marktwirtschaft UND gelebter sozialer Solidarität UND einem wirkungsvollen Schutz von Umwelt und Klima. Dieses Gleichgewicht muss immer wieder neu angestrebt werden. Dazu bedarf es einer entschlossenen, gestaltenden Politik und des Zusammenwirkens aller Kräfte in einer Gesellschaft.
Was bedeutet das konkret?
Die Grundlage für eine leistungsfähige Wirtschaft ist eine bestmögliche Bildung, Aus- und Weiterbildung, Forschung und Innovation. Dazu bedarf es eines leistungs- und eigentumsfreundlichen Rechts- und Steuersystems.
Gelebte soziale Solidarität sorgt dafür, dass alle Menschen in einer Gesellschaft unter menschenwürdigen Bedingungen leben können. Gerade in den Zeiten einer Pandemie merken wir, wie wichtig ein leistungsfähiger Staat ist, der die Menschen durch diese schwere Krise tragen kann. Wir brauchen ein tragfähiges Sozial- und Gesundheitssystem mit einer solidarischen und generationengerechten Form der Finanzierung.
Ökologie – also der wirksame Schutz von Klima und Umwelt für heutige und künftige Generationen – ist die dritte Dimension von Ökosozialer Marktwirtschaft. „Lasst den Markt die Umwelt schützen“, lautet das Motto. Die wichtigsten Instrumente dafür sind:
- ökologische Kostenwahrheit,
- striktes Verursacherprinzip,
- intelligenter Umbau bei Steuern, Abgaben und Förderungen.
Das für die Zukunft Richtige und Wichtige muss wirtschaftlich attraktiv sein und sich betriebswirtschaftlich rechnen. Daher ist die ökosoziale Steuerreform so wichtig: Sie ist die richtige Weichenstellung für die Zukunft. Sie ist der Impuls für neue technologische Entwicklungen, durch welche wir nicht nur weniger CO2 emittieren, sondern CO2 wieder aus der Atmosphäre zurückholen, um daraus klimafreundliche Treibstoffe und Grundstoffe für Nahrungsmittel zu erzeugen. Wenn die Beschlüsse bei der Klimakonferenz in Glasgow dazu führen, dass wir weltweit einen fairen CO2-Preis bekommen, dann wird eine ganz neue Dynamik entstehen.
Europa und die Ökosoziale Marktwirtschaft
Im Lissabon-Vertrag von 2007, der gültigen Rechtsgrundlage der EU, ist im Artikel 3 die Ökosoziale Marktwirtschaft grundgelegt: „Die EU errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Frieden abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.“
Wir sollten uns immer wieder bewusst machen und in Erinnerung rufen: Das in der Europäischen Union geeinte Europa ist auf der Welt einzigartig! Warum wollen so viele Menschen in die EU kommen? Warum wollen sie nicht nach China oder in andere Regionen? Weil ihnen die EU wie ein Paradies erscheint! Nirgends sonst auf der Welt gibt es in einem so hohen Maß persönliche Freiheit, innere und äußere Sicherheit, ein dichtes soziales Netz und ein friedliches Zusammenleben!
Das alles ist nicht vom Himmel gefallen. Es war ein langer, oft beschwerlicher Weg. Entscheidend waren die Grundprinzipien, mit denen der Einigungsprozess 1950 begonnen wurde:
- Die Überwindung der „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland.
- Die Hilfe der Siegerstaaten des Zweiten Weltkriegs für den Wiederaufbau des zerstörten Europa durch den Marshall Plan der USA.
- Das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft mit dem Motto „Wohlstand für alle“.
Das Allerwichtigste: Durch die EU ist ein Krieg zwischen Mitgliedstaaten undenkbar geworden. Das ist die größte Errungenschaft: die Friedensunion!
Ich habe im letzten Kriegsjahr 1944/45 die 1. Klasse Volksschule besucht. Ich habe die Schrecken des Krieges persönlich erlebt – mein Vater ist im Oktober 1944 bei den sinnlosen Abwehrkämpfen in Italien ums Leben gekommen. Ich weiß, was Frieden bedeutet. Das müssen wir auch der jüngeren Generation immer wieder in Erinnerung rufen. Das Friedensprojekt Europa kann gar nicht hoch genug geschätzt werden! 76 Jahre ohne Krieg sind die Grundlage für unseren Wohlstand.
Der europäische Einigungsprozess wurde geprägt durch die Soziale Marktwirtschaft mit ihrem Prinzip: „Leistungsfähige Wirtschaft – Wohlstand für alle.“ Dieses Erfolgsmodell müssen wir weiterentwickeln. Daher: die Ökosoziale Marktwirtschaft!
Die EU ist auch im Hinblick auf Umwelt- und Klimaschutz weltweit einsame Spitze! Ihr Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen liegt deutlich unter ihrem Anteil an der Wirtschaftsleistung. Konkret hat die EU eine Reihe wichtiger Impulse gesetzt: Seit 2005 gibt es das EU-Emissionshandelssystem (ETS) für Industrie und Energiewirtschaft; 2011 wurde das „effort-sharing“ eingeführt, welches eine faire „Lastenteilung“ für die CO2-Reduktion zwischen den Mitgliedstaaten vorsieht. Der „Green Deal“ aus 2019 sieht massive Investitionen für den Klimaschutz vor. Im Juli 2021 wurde das Projekt „Fit for 55“ präsentiert, mit dem die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden sollen. Das ist konkrete Ökosoziale Marktwirtschaft. Die EU ist auch immer wieder treibende Kraft bei internationalen Konferenzen für mehr Klimaschutz.
Globale Weichenstellungen
Auch auf globaler Ebene hat das ökosoziale Gedankengut Eingang gefunden: Nach dem Finanzskandal 2008 stellte sogar der Internationale Währungsfonds fest: „Ungezügelte Märkte sind nicht die Lösung, sondern das Problem!“
2012 einigten sich die wichtigsten globalen Institutionen OECD, IWF, G20 und andere auf ein neues Paradigma für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie nannten es: „Green and Inclusive Economy”.
Ihre drei Ziele – wirtschaftliche Nachhaltigkeit, soziale Nachhaltigkeit und ökologische Nachhaltigkeit – entsprechen 1:1 unserer Ökosozialen Marktwirtschaft. Auf dieser Basis gelangen 2015 zwei bahnbrechende Beschlüsse der UNO:
- die „Nachhaltigen Entwicklungsziele“ – die Agenda 2030
- der Klimavertrag von Paris
Nun gilt es, diese für eine friedvolle Entwicklung so entscheidenden Projekte der Staatengemeinschaft Schritt um Schritt in die Tat umzusetzen und mit Leben zu erfüllen.
Die Zukunft der EU
Wie schon erwähnt: Der europäische Einigungsprozess ist einzigartig auf der Welt: ohne Krieg, freie demokratische Entscheidungen, er ist das weltweit größte und wichtigste Friedensprojekt. Aber: Dieser Weg der Einigung war mühsam und immer wieder von Krisen begleitet. Er ist immer noch mühsam – immer wieder erleben wir Krisen – und er bleibt mühsam – aber es lohnt sich, alle Mühe auf sich zu nehmen!Nach einer Phase des Stillstandes und der „Eurosklerose“ gab es in den 1980er Jahren eine wunderbare Aufbruchstimmung mit einer großen Faszination für viele Teile Europas, was schließlich zum Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen und zur friedlichen Neugestaltung seit 1989 führte. Diesen wunderbaren Prozess verdanken wir in erster Linie drei Persönlichkeiten: dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, dem damaligen französischen Staatspräsident Francois Mitterand und dem damaligen Kommissionspräsident Jaques Delors. Hoffen wir, dass es wieder einmal eine so günstige Konstellation geben wird. Es lohnt sich, mit glühendem Herzen für das gemeinsame Europa zu wirken!
Vor großen neuen Herausforderungen
Die weltweiten Bedrohungen nehmen zu: militärische Konflikte zwischen Großmächten, die drohende Klimakatastrophe, riesige Völkerwanderungen, Cyber-Angriffe, um nur einige wenige zu nennen.
Angesichts dieser Herausforderungen muss die EU ein handlungsfähiger Akteur im globalen Geschehen werden. Daher muss die EU sich eigenständig verteidigen können und darf sich nicht auf die USA verlassen und sie muss außenpolitisch handlungsfähig werden! Ein Teil dieses neuen Ansatzes soll die Kooperation auf Augenhöhe zwischen Afrika und Europa als Chance begriffen und genutzt werden. Eine faire Partnerschaft zwischen der EU und der Afrikanischen Union bzw. einzelnen afrikanischen Staaten ist ein Gebot der Stunde. Das gilt vor allem auch für den Umstieg auf die Gewinnung alternativer Treibstoffe auf Basis von Sonnenenergie.