Josef Riegler bei seiner Rede anlässlich seines 85. Geburtstages
Josef „Joschi“ Riegler wurde im November 85 Jahre alt. Als Vizekanzler, Landwirtschaftsminister und Gründer des Ökosozialen Forums hat er die nationale und europäische Politik mitgestaltet. Davon müde geworden ist Joschi nicht. Im Gegenteil: Mit einer beeindruckenden Rede anlässlich seiner Geburtstagsfeier bewies er erneut, dass Visionen keine Altersgrenze kennen. denk.stoff hat mit Josef Riegler gesprochen.

Herr Riegler, Sie haben eine lange und beeindruckende Karriere hinter sich. Was inspiriert Sie heute noch in Ihrer Arbeit und Ihren Visionen?

Joschi Riegler: Die Inspiration kommt aus dem tiefen Glauben an die Menschheit und unsere Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern. Meine Vision einer zukunftsfähigen und friedensfähigen Zivilisation treibt mich an. Es geht darum, eine Welt zu schaffen, in der nachfolgende Generationen in Harmonie mit der Natur und untereinander leben können.

In Ihrer Rede betonten Sie die Bedeutung einer verantwortungsvollen Beziehung zum Planeten. Wie können wir diese Beziehung in unserem täglichen Leben umsetzen?

RieglerDurch kleine Handlungen kann man einen Unterschied machen. Ob es darum geht, Energie zu sparen, nachhaltige Produkte zu verwenden oder sich für seine Überzeugungen einzusetzen – es sind diese täglichen Entscheidungen, die eine große Wirkung haben. Wir müssen uns als Teil des Ökosystems Erde verstehen, nicht als dessen Herrscher.

Sie sprachen auch über die Notwendigkeit, Krieg und Gewalt zu ächten. In einer Welt voller Konflikte scheint dies aktueller denn je zu sein. Wie kann das Ihrer Meinung nach erreicht werden?

Riegler: Es beginnt mit Bildung und Verständnis. Wir müssen Kulturen des Friedens und der Konfliktlösung fördern, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Die Europäische Union bietet ein Modell dafür, wie ehemalige Feinde zu Partnern werden können. Dieser Geist muss weltweit verbreitet werden.

Wie schätzen Sie die Rolle der jungen Generation bei der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft ein?

Riegler: Die junge Generation ist entscheidend für die Zukunft unseres Planeten. Ihre Energie, Kreativität und ihr Engagement für soziale und ökologische Themen sind beeindruckend. Sie haben die Fähigkeit, alte Muster zu durchbrechen und innovative Lösungen zu finden. Ihre Stimme und ihr Handeln sind für die Verwirklichung der Vision einer nachhaltigen Welt unerlässlich. Es liegt an uns allen, Visionen Wirklichkeit werden zu lassen.

Josef Riegler
» Große Veränderungen sind möglich, wenn die Vision klar und die Entschlossenheit stark ist.«

Sie haben betont, dass Visionen nicht nur Träumereien sind, sondern konkrete Vorstellungen von der Zukunft. Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie eine solche Vision in der Realität umgesetzt werden kann?

RieglerEin gutes Beispiel ist die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus den Trümmern und der Verzweiflung entstand eine Vision für eine bessere Wirtschaftsordnung, die Wohlstand für alle zum Ziel hatte. Diese Vision wurde durch hartnäckige Arbeit und politisches Engagement zur Realität. Es zeigt, dass große Veränderungen möglich sind, wenn die Vision klar und die Entschlossenheit stark ist. Die Ökosoziale Marktwirtschaft kann als Blaupause für eine nachhaltige globale Wirtschaft dienen. Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Effizienz, sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz zu finden. Dies erfordert internationale Zusammenarbeit, faire Handelsabkommen und eine Verpflichtung zu globalen Umwelt- und Sozialstandards.

Sie sprachen von einem „Kampf gegen Windmühlen“. Wie bewältigt man die Frustration, die mit dem Streben nach tiefgreifenden Veränderungen einhergeht?

RieglerVeränderung ist nie einfach und sie kommt selten schnell. Man muss beharrlich sein und darf nicht zulassen, dass Rückschläge einen entmutigen. Die Krise von 2008 und die darauffolgenden Diskussionen über eine „Green and Inclusive Economy“ sind Beispiele dafür, wie Ideen, die einst als utopisch galten, plötzlich an Zugkraft gewinnen können. In Zeiten der Polarisierung ist dabei die Demokratie das zentrale Element. Demokratie erfordert Engagement und einen ständigen Dialog. Wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten und dürfen nicht zulassen, dass zynische Stimmen die Oberhand gewinnen. Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, das gepflegt werden muss, insbesondere in Zeiten, in denen autokratische Tendenzen zunehmen.

Was gibt Ihnen angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen Hoffnung?

RieglerTrotz der vielen Herausforderungen gibt es überall auf der Welt Zeichen der Hoffnung. Menschen engagieren sich für ihre Gemeinschaften, kämpfen für soziale Gerechtigkeit und arbeiten an innovativen Lösungen für Umweltprobleme. Diese kollektive Energie und dieses Engagement geben mir Hoffnung. Deshalb mein Appell: Bleiben Sie engagiert, bleiben Sie hoffnungsvoll und handeln Sie. Jede und jeder von uns hat die Macht, etwas zu bewirken. Unsere gemeinsamen Anstrengungen können eine lebenswerte, gerechte und nachhaltige Welt schaffen. Es liegt an uns allen, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

Josef Riegler war Landwirtschaftsminister und Vizekanzler; seit 2005 ist er Ehrenpräsident des Ökosozialen Forums. In den späten 1980er Jahren entwickelte Riegler das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft.

Die Rede von Josef Riegler anlässlich seines 85. Geburtstags finden Sie hier.