Kind mit Donuts vor den AUgen

… dann die Moral. Angesichts der Abhängigkeiten in wichtigen Wirtschaftsbereichen, kommt der Risikominimierung besondere Bedeutung
zu. Wir können unsere europäischen Werte nur leben, wenn die Grundbedürfnisse der Menschen gesichert sind.

Die Teuerungen der vergangenen Jahre lassen viele Menschen an der Supermarktkassa tief durchschnaufen. Österreich hat immer noch eine der höchsten Inflationsraten in Europa. Seit 2020 sind die Verbraucherpreise bis Oktober 2023 um knappe 22 Prozentpunkte gestiegen. Die Lohnentwicklung hinkt aktuell der Teuerung hinterher. In den beiden Vorjahren wurde der Jahres-Tariflohnindex – ein Indikator für die Mindestlohnentwicklung –, der traditionell über Steigerung der Verbraucherpreise gelegen ist, von der Preisentwicklung abgehängt. Den Menschen bleibt also auch real weniger im Geldbörsel.

Hinzu kommt, dass vor allem Güter des täglichen Bedarfs teurer geworden sind. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke liegen weit über der Durschnittsteuerung. Noch stärkere Preistreiber sind Wohnen und Energie mit rund 32 sowie Verkehr mit über 28 Prozentpunkten. Allein diese beiden Positionen machen mehr als ein Drittel der Ausgaben eines österreichischen Durchschnittshaushalts aus – bei Haushalten mit geringem Einkommen sogar über die Hälfte. Der reflexartige Ruf nach billigen Lebensmitteln ist verständlich – aber aus Sicht der am stärksten Betroffenen nicht der wichtigste Ansatzpunkt.

Abhängigkeiten abbauen

Der russische Einmarsch in die Ukraine und die damit verbundenen Preisanstiege für Energie haben direkten Einfluss auf die Menschen in Österreich. Wir spüren jetzt die Auswirkungen einer jahrzehntelang aufgebauten Abhängigkeit unserer Energieversorgung. Diese setzte einerseits viel zu lange auf (billige) fossile Energie und verabsäumte andererseits die Risikostreuung auf mehrere Importländer. Ein zweifaches Versäumnis, das uns jetzt teuer zu stehen kommt: Österreich verzeichnete 2022 ein Handelsbilanzdefizit von über 20 Mrd. Euro – das bedeutete eine Steigerung um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allein im Handel mit Drittländern verdoppelte sich das Defizit. Dies ist allen voran dem wachsenden Importwert von Gas und Erdöl geschuldet. Während die Menge des importierten Gases um 30 % zurückging, haben sich die Gas-Kosten mit +122,5 % mehr als verdoppelt. Allein nach Russland überwies Österreich 2022 für Energie-Importe fast acht Milliarden Euro.

Energiewende schnell und konsequent umsetzen

Das Aufschieben der Energiewende kommt nicht nur finanziell teuer. Wir bezahlen auch in Form einer Abhängigkeit, die den politischen und wirtschaftlichen Handlungsspielraum einschränkt. Und gleichzeitig wirken sich die explodierenden Preise für Energie und Rohstoffe auch auf andere Bereiche aus, verteuern (fast) alle Produktgruppen.

Am Energiesektor wurde deutlich, welche negativen Auswirkungen einseitige Abhängigkeiten haben können. In einer globalen arbeitsteiligen Wirtschaft lassen sich Abhängigkeiten nicht vermeiden – völlige Autarkie ist nicht möglich. Willi Molterer, Vizepräsident des Ökosozialen Forums, fordert daher – im Einklang mit der europäischen Außenpolitik – eine „strategische Autonomie“. Diese Sichtweise betont die außenpolitischen Konsequenzen wirtschaftlicher Entscheidungen. Zu starke Abhängigkeiten von einzelnen Unternehmen oder Ländern schränken den politischen Handlungsspielraum maßgeblich ein. Das gilt es zu vermeiden.

Bei der strategischen Autonomie geht nicht um wirtschaftliche Selbstversorgung, sondern um politische Selbstbestimmung. Ziehen wir die Lehren aus der Finanzkrise: Was damals „too big to fail“ war – Finanzinstitute, die aufgrund ihrer Bedeutung nicht pleite gehen durften –, könnte in diesem Zusammenhang „too critical to fail“ bedeuten. Besonders in Bereichen der Versorgungssicherheit – wie Energie und Lebensmittel – sind eindimensionale Abhängigkeiten gefährlich und möglichst zu vermeiden. Dabei geht es nicht lediglich um die Produktion, sondern um alle damit zusammenhängenden Lieferketten und den Transport. Das Vorhandensein von resilienter Netz-, Transport- und Lagerinfrastruktur ist dabei
genauso wichtig wie verfügbare Halbleiter sowie funktionsfähige (hackersichere) Rechner- und Cloudkapazitäten.

Versorgung sichern

Wir müssen in Europa ausreichend Lebensmittel für uns erzeugen können. Das schließt auch die Verfügbarkeit der notwendigen Vorprodukte wie Dünge- und Pflanzenschutzmittel mit ein. Ebenso das Vorhandensein gesunder Böden für die Produktion. Schon aus diesem Grund müssen wir entschiedene Maßnahmen gegen den Klimawandel setzen. Das funktioniert nur durch Zusammenarbeit.  Internationaler Handel darf aber keine eindimensionalen Abhängigkeiten erzeugen und keinesfalls die ökologischen und sozialen Standards über die Hintertüre aushebeln. Und letztlich müssen sich alle Menschen das Essen auch leisten könne. Diesen Spagat zusammenzubringen ist ebenso schwierig wie nötig, will Europa seine Werte von Solidarität, Freiheit und Umweltschutz leben können.