Aktuell ist die Krisenbekämpfung ganz oben auf der politischen Agenda. Viele aktuell kursierende Vorschläge stärken aber weder die strategische Autonomie noch klimapolitisch notwendige Weichenstellungen.
„Houston, wir haben ein Problem!“ – so oder so ähnlich lautete der Funkspruch, den die „Apollo 13“-Besatzung am 13. April 1970 an das Space Center im texanischen Houston sandte. Knapp 56 Stunden nach dem Start explodierte ein Tank in einem Servicemodul, was letztlich dazu führte, dass die Mission abgebrochen werden musste. Anfänglich soll die Enttäuschung über die verpasste Mondlandung bei der Besatzung größer gewesen sein als die Sorge, wie und ob sie überhaupt zur Erde zurückkehren könnten.
Und hier drängen sich ein paar Analogien zur aktuellen Krisensituation auf. Am 24. Februar startete Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine. Laut einer Befragung des Gallup-Institutes von Ende April dieses Jahres machen höhere Preise bei Nahrungsmitteln (91 %) und Energie (90 %) den Befragten große bzw. sehr große Angst. Andere geopolitische Konsequenzen des Krieges bereiten den Menschen offenbar weniger Sorgen. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen Debatte in Österreich – und nicht nur hier – wider. Die Rufe nach Maßnahmen gegen die Teuerung bestimmen die Diskussionen und die meisten konkreten Vorschläge haben eines gemeinsam: Sie sollen (fast) allen eine finanzielle Entlastung bringen, sie sind daher insgesamt sehr teuer und konterkarieren klima- und umweltpolitische Überlegungen.
Österreich ist auf Erdgas angewiesen. 22,7 Prozent des Bruttoinlandsverbrauchs wird durch den Energieträger Gas bereitgestellt. Gas benötigen nicht nur die Haushalte zum Heizen (sowie zur Warmwasserbereitung und zum Kochen). Gas benötigt vor allem auch die produzierende Industrie und der (gewerbliche) Transport – auf diese drei Bereiche entfallen – zu annähernd gleich großen Teilen – 90 Prozent der Nutzung. Und Österreich ist in seiner Gasversorgung zu 64 Prozent von Importen aus Russland abhängig.
Nicht erpressbar sein als Gebot der Stunde
Der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments hat in einer Studie aus dem Jahr 2020 – noch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie – „strategische Autonomie“ definiert: Es geht „nicht um Eigenständigkeit, sondern um die Mittel und Instrumente, um in Bereichen, die als strategisch erachtet werden und in denen durch Abhängigkeiten die Autonomie gefährdet werden könnte, externe Abhängigkeiten abzubauen und gleichzeitig in einem multilateralen Umfeld weiterhin mit Partnern zusammenzuarbeiten.“ Strategische Autonomie bedeutet also nicht erpressbar sein. Genau das ist heute nicht der Fall. Nicht im Energiebereich, und damit auch in keinem anderen Bereich. Denn unsere heutige Gesellschaft ist in jedem Bereich auf Energie angewiesen. Ohne Gas kann die Papierindustrie keine Verpackungen für Lebensmittel herstellen, ohne Gas kann kein Metall und kein Glas produziert werden, ohne Gas ist die Strom- und Wärmeerzeugung derzeit nicht möglich, ohne Strom kann keine Zahlung getätigt werden und nicht getankt werden, ohne Treibstoff kann Logistik nicht funktionieren und auch nicht die medizinische Versorgung – ohne Energie funktioniert nichts. Und ohne Gas funktioniert die Energieversorgung nicht. Ein plötzlicher Gaslieferstopp würde unsere Wirtschaft, unsere ganze Gesellschaft vor erhebliche Probleme stellen. Die Österreichische Nationalbank hat in einem Modell einen Gaslieferstopp ab Juni simuliert und kommt zu einem BIP-Verlust von 3,1 Prozent – dabei ist aber noch keine Verteuerung von Energie berücksichtigt, wovon auszugehen ist. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr hält das Szenario eines Gas-Importstopps gar nicht für modellierbar.
Österreich, Europa, wir alle haben also ein massives Problem. Wir sind erpressbar. Vor allem, weil wir es verabsäumt haben, die Lieferanten zu diversifizieren und unsere Energieversorgung stärker auf alternative (erneuerbare) Beine zu stellen, was allein schon aus Klimaschutz-Überlegungen notwendig gewesen wäre und immer noch ist. Und die derzeit diskutierten Vorschläge zur Krisenbekämpfung wie Verbilligung von Energie sind kontraproduktiv, wenn wir aus diesem Teufelskreis herauskommen wollen. Der wissenschaftliche Beirat des Ökosozialen Forums hat auf diesen Umstand bei einem Pressegespräch hingewiesen. „Eine generelle Verbilligung von Energieprodukten, Mehrwertsteuersenkungen oder finanzielle Kompensationen nach dem Gießkannenprinzip sind in der aktuellen Situation nicht zielführend“, so Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Ökosozialen Forums, in einem Pressegespräch im Mai. Stattdessen sollten gezielt sozial benachteiligte und besonders betroffene Gruppen sowie energieintensive Branchen unterstützt und gleichzeitig umweltfreundliche Alternativen gefördert werden.
Sonst geht es uns wie den Astronauten der „Apollo 13“-Mission. Wir reduzieren ein Problem auf eine kurzfristige Auswirkung und vergessen, dass es wichtige langfristige Ziele gibt. Den drei Astronauten hat – so wir der filmischen Umsetzung glauben – der unermüdliche und professionelle Einsatz des Bodenpersonals das Leben gerettet. Hoffen wir, dass auch bei uns die Arbeit der Mission-Control ähnlich erfolgreich ist.