Starktstrommast

Der russische Angriffskrieg und die Teuerungen für Energie haben massive Auswirkungen auf Menschen und Wirtschaft. Über die Verletzlichkeit der europäischen Energieversorgung sowie über die Möglichkeiten, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, sprach denk.stoff mit VERBUND-Chef Michael Strugl./em>


Was ist aktuell die größte Gefahr für die Strom- und Gasversorgung in Österreich?

Michael Strugl: Der größte Einflussfaktor auf die aktuelle Situation ist der Krieg in der Ukraine, der im Energiesektor voll eingeschlagen ist. Bereits im Laufe des vergangenen Jahres war ein deutlicher Preisanstieg bei allen Energieträgern zu verzeichnen, das betraf Öl, Gas, Kohle, Strom und auch den CO2-Preis. Die Gründe lagen in der auslaufenden Pandemie und dem beginnenden Wirtschaftsaufschwung. Es gab eine enorme Nachfrage nach Rohstoffen und Energie und gleichzeitig waren noch Lieferketten unterbrochen.

In Europa war im vergangenen Jahr wenig Gas auf dem Markt bei gleichzeitig steigender Nachfrage. Die Flüssiggaslieferungen sind nach Asien gegangen, weil dort mehr bezahlt wurde. Es gab Probleme in den europäischen Förderungen, v. a. in Norwegen. Die Füllstände waren historisch niedrig, weil schon 2021 weniger russisches Gas in Europa angekommen ist. Die Lieferanten haben zwar ihre Lieferverpflichtungen erfüllt, aber nicht mehr geliefert als sie unbedingt mussten. Das hat den Gaspreis dramatisch erhöht. Und dann kam am 24. Februar der Krieg in der Ukraine, der zu einem nochmaligen Preisanstieg geführt hat.

Was müssen wir jetzt tun, um im kommenden Winter oder schon früher keine Probleme mit der Energieversorgung zu haben?

Strugl: Die Europäische Kommission hat eine Speicherverpflichtung für die Mitgliedstaaten beschlossen. Diese legt fest, dass bis zum 1. November die Gasspeicher zu 80 Prozent gefüllt sein müssen. Im nächsten Jahr sollen es dann 90 Prozent sein. Damit will man gewährleisten, dass die nächste Heizperiode abgesichert ist. Ob das gelingen wird, ob genügend Gas auf den Märkten vorhanden ist, wird man sehen. Längerfristig muss es zu einer Diversifizierung der Importländer kommen – zumindest solange wir von Importen abhängig sind. Die ist nicht ganz einfach: Man muss Terminals bauen für Flüssiggas, man braucht Kapazitäten auf Schiffen, man braucht die Pipeline-Kapazitäten. Und man wird Gas auch einsparen bzw. durch andere Energieträger ersetzen müssen, z. B. Wasserstoff. Hier werden die Anstrengungen in ganz Europa massiv verstärkt.

Die Gefahr von Lock-in-Effekten

Wie sinnvoll sind Investitionen in die Gasinfrastruktur, wenn doch der Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung bis 2040 beschlossen wurde?

Strugl: Wenn wir jetzt massive Investitionen vornehmen, beispielsweise für Gasterminals, dann spricht man hier von Lock-in-Effekten. Die enormen Investitionen müssen sich rechnen und das tun sie nur über längere Zeiträume. Damit konterkariert man die Energiepolitik, die auf den Ausstieg aus fossilen Energieträgern abzielt. Das ist ein Spannungsfeld. Es ist aber auch eine Ausnahmesituation und erfordert kurzfristiges Handeln, um größeren Schaden für die Bevölkerung und die Wirtschaft abzuwenden. Aber gasförmige Energieträger wird man weiterhin brauchen, weil diese die entsprechende Speicherfähigkeit haben. Es werden dann eben nicht fossile, sondern grüne Gase wie Wasserstoff sein.

Der Bedarf an grünem Strom wird bis 2030 massiv steigen. Wo kann dieser herkommen?

Strugl: Das beschäftigt uns alle. Der Strombedarf wird stark steigen, weil Strom in andere Sektoren vordringt; beispielsweise in den Mobilitätssektor durch E-Autos, in den Wärmesektor durch Wärmepumpen und die umfassenden Anstrengungen zur Dekarbonisierung der Industrie. Im Erneuerbaren-Ausbaugesetz ist geplant, bis 2030 die gesamte Stromerzeugung in Österreich auf erneuerbare Quellen umzustellen. Dazu brauchen wir 27 Terawattstunden zusätzlich. Das sind ungefähr 20 Gigawatt installierte Erzeugungsleistung aus Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und auch aus Biomasse. Das entspricht einer Verdoppelung der Kapazität in den Erneuerbaren.

Was bedeutet das für den Ausbau?

Strugl: Wenn wir elf Terawattstunden Sonnenstrom erzeugen wollen, brauchen wir zwei Millionen Einfamilienhausdächer. Also auch wenn alle Industriedächer, Lärmschutzwände, Parkplätze für die Sonnenstromerzeugung genutzt werden, geht sich das nicht aus. Wir brauchen auch Freiflächen, um die angepeilte Menge erzeugen zu können. Bei Windenergie wären das rund 1.200 zusätzliche Windkraftanlagen in Österreich. Und für Wasserkraft bräuchten wir fünf zusätzliche Kraftwerke in der Dimension des Kraftwerks Freudenau. Diese insgesamt 27 Terawattstunden aufzubringen ist eine enorme Herausforderung. Dazu brauchen wir Flächen, die sind derzeit nicht ausgewiesen. Dazu brauchen wir Genehmigungsverfahren, die uns die Umsetzung erlauben. Und selbst wenn uns das gelingt, ist noch nicht gewährleistet, dass die Versorgung funktioniert, weil es gleichzeitig die entsprechenden Netze braucht. Wir müssen die Verteilnetze und die Übertragungsnetze ausbauen, damit der Strom dort hinkommt, wo er gebraucht wird. Und wir müssen die Speicher ausbauen. Vor allem die Pumpspeicherkraftwerke, weil sie es erlauben, die Schwankungen auch saisonal auszugleichen. Es ist eine gewaltige Aufgabe für ganz Europa, so viel und so schnell wie möglich erneuerbare Erzeugung zuzubauen. Aber es muss uns gelingen, denn damit reduzieren wir die Abhängigkeit von fossilen Importen und es ist die einzige Möglichkeit, den Strompreis, unter dem wir aktuell leiden, wieder auf ein vernünftiges Niveau zu bringen.


Michael Strugl

Michael Strugl ist Vorsitzender des Vorstands der VERBUND AG.

»Es ist eine gewaltige Aufgabe für ganz Europa, so viel und so schnell wie möglich erneuerbare Erzeugung zuzubauen.«