Mülltonnen

In einer Kreislaufwirtschaft sollen die eingesetzten Rohstoffe möglichst lange in unterschiedlichster Form verwendet werden. Nach der Lebenszeit eines Produktes kommen die verarbeiteten Ressourcen in anderen Produkten wieder zum Einsatz. Die richtige Behandlung des „Abfalls“ bzw. der Wertstoffe spielt dabei eine entscheidende Rolle. Über den Wert unseres Mülls und über die Gefahren, die in unseren Mistkübeln lauern, sowie die Bedingungen erfolgreicher Abfallwirtschaft sprach denk.stoff mit dem obersten österreichischen Entsorger und Verwerter Hans Roth.

Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Abfall. Schon 1979 stand Umweltschutz in Ihrem Firmennamen. Was hat sich seit damals verändert?

Hans Roth: 1974 verabschiedete mein Bundesland, die Steiermark, ein Müllbeseitigungsgesetz. Damit wurden die Gemeinden verpflichtet, eine ordnungsgemäße Müllabfuhr einzuführen. Zu dieser Zeit haben die Menschen in den kleineren Gemeinden den Abfall oft irgendwo am Ortsrand in den Graben geschüttet. Das ist noch gar nicht so lange her.

Es hat dann weitere fünf Jahre gedauert, bis die Politik das Gesetz auch tatsächlich umgesetzt hat. Damals hat jedes Haus einen Abfallbehälter bekommen und erstmals musste für den Mist bezahlt werden. Manche haben das versucht, mit der Aussage zu vermeiden: „Wir haben keinen Müll!“ Das waren spannende Diskussionen. Ein Freund aus Deutschland hat mir damals geraten, die Müllabfuhr einmal ein halbes Jahr gratis zu machen, damit die Leute sehen, dass nichts Schlimmes auf sie zukommt. Erstmals musst auch ordnungsgemäß deponiert werden, dazu wurde im Süden der Steiermark eine neue Deponie eröffnet.

Wir haben die Müllabfuhr damals als zusätzliches Geschäftsfeld zu unseren anderen Dienstleistungen aufgebaut. Meine Frau hat den Bereich damals neben ihrem Beruf als Lehrerin am Nachmittag gemacht. Später, als der Aufwand größer wurde, gab sie ihren Beruf auf, was sie mir in schlechten Zeiten öfter vorgeworfen hat.

Ab Anfang der 1980er Jahre hat sich die Mülltrennung langsam durchgesetzt. Das steirische Mureck war die erste Stadt Österreichs mit einem Drei-Tonnen-System, mit dem Restmüll, Glas und Papier getrennt gesammelt wurden. In Wildon haben wir die erste Biotonne aufgestellt. Diese Entwicklung wurde auch von gesetzlichen Maßnahmen wie der Verpackungsverodnung oder dem Elektronikschrottgesetz getrieben und schlussendlich auch durch die Deponieverordnung 2004, mit der das Deponieren massiv eingeschränkt wurde. Aber auch die Papierindustrie hat uns animiert, damit sie den Rohstoff nicht mehr teuer aus Deutschland importieren musste.

Man hört immer wieder, Mülltrennung in Haushalten bringe nichts, weil zum Schluss alles zusammengeworfen wird. Stimmt das?

Hans Roth: Nein. Das Gegenteil ist der Fall: Im Zuge der Abfallbehandlung bzw. des Recyclings werden die Abfälle sogar noch weiter sortiert und getrennt. Jeder einzelne kann aber schon bei der Sammlung des Abfalls seinen Beitrag zu einer möglichst hochwertigen Verwertung leisten, indem die unterschiedlichen Abfälle getrennt gesammelt werden. Denn das hochwertige recyceln von beispielsweise Papier ist nur dann möglich, wenn das Altpapier getrennt von anderen Nassabfällen gesammelt wird. Ansonsten leidet die Qualität des Sekundärrohstoffs.

Der Glaube, dass der Abfall nach der getrennten Erfassung im Haushalt wieder zusammengeworfen wird, ist in der Bevölkerung vor allem durch die Mehrkammern-Fahrzeuge entstanden. Meist betrifft es die Glas-LKWs, die gleichzeitig Weißglas und Buntglas abholen. Diese Fahrzeuge haben ein Zwei-Kammern-System, in denen getrennt transportiert wird. Es wäre dumm, alles zusammenzuschmeißen. Dann wäre der Abfall Restmüll und der ist

in der Entsorgung der Teuerste. Jede Gemeinde fördert und kontrolliert daher die getrennte Sammlung, weil das nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Zudem braucht die Industrie die Rohstoffe. Daher sind auch alle anderen Tonnen weitaus günstiger als die graue Tonne. Manchmal kostet die Entsorgung auch gar nichts, das hängt vom Rohstoffpreis ab. Abfall ist etwas wert. Ich spreche daher lieber von Wertstoff bzw. Altstoff oder Ressource.

Was ist aktuell der wertvollste Abfall?

Hans Roth: Grundsätzlich ist es immer ökologisch und ökonomisch wertvoll, wenn Abfälle einer geordneten Sammlung und Behandlung zugeführt werden. Wenn es um den monetären Wert einzelner Abfallströme geht, sind sicher edelmetallhaltige Produktionsabfälle aus der Industrie die Spitzenreiter. Hierbei handelt es sich um Abfälle, die geringe Mengen an Silber, Gold, Palladium, aber auch andere Metalle wie Kupfer enthalten. Beispielsweise im Elektronikschrott. Diese Metalle können durch eine aufwendige Aufbereitung zurückgewonnen und so wieder dem Produktionskreislauf zugeführt werden. Die Ressourcenwirtschaft hat heute eine sehr hohe Bedeutung in der Beschaffung.

Wenn die Ressourcen in unserem Abfall so wertvoll sind, warum bezahle ich dafür, dass mein Müll weggebracht wird und bekomme nicht Geld für meinen Mist?

Hans Roth: Wenn Papier von einer Familie in Graz oder Wien bis in die Papierfabrik transportiert wird, ist das aufwändig. Der Wert des Rohstoffs deckt da nicht die Kosten für die Abholung und Verwertung ab. Viele Metalle waren lange Zeit nichts wert, steigen aber nun wieder im Preis, sodass das Recycling mit den Erlösen für die Rohstoffe fast kostenlos gemacht werden kann. Das hängt eben auch vom Weltmarktpreis der Rohstoffe ab. Bei Sortenrein gesammelten Wertstoffen ist es aber durchaus möglich, dass der Kunde auch tatsächlich eine Vergütung für den gesammelten Abfall erhält. Schrott ist hierfür ein gutes Beispiel.

Nachdem der Restmüll nicht mehr deponiert werden darf, wird alles herausgeholt, was geht. Wir verwerten zuerst stofflich durch Granulat oder Ähnliches. Dann erst wird der Rest verbrannt oder zu Brennstoff gemacht. Dieser wird beispielsweise in der Zementindustrie zur Energiegewinnung eingesetzt. Damit ersetzen wir Steinkohle, Gas oder andere Ressourcen. Durch die Verwertung hunderttausende Tonnen Kohle aus Südafrika eingespart werden.

Wo in Österreich bzw. unter welchen Bedingungen funktioniert die Mülltrennung am besten?

Hans Roth: Die Leute sind gescheit genug, Müll zu trennen, wenn man sie entsprechend motiviert. Desto kürzer der Weg zur Sammelstelle, desto größer die Bereitschaft zu trennen und damit einen ökologischen Beitrag zu leisten. Mülltrennung funktioniert überall dort, wo ein enger Kontakt zur Gemeinde und zur Abfallberatung besteht. In Horn oder Tulln ist das vielleicht einfacher als im 22. Bezirk in Wien.

Viele behaupten, in Osteuropa gäbe es keine Kultur des Mülltrennens, die Leute dort können das nicht. Wir haben da ganz andere Erfahrungen gemacht. 1991 haben wir in Murska Sobota in Slowenien die getrennte Sammlung eingeführt. Und bald danach in Nagykanizsa in Ungarn. An beiden Orten sofort nach dem österreichischen Modell. Überall hat es sofort funktioniert. Die Behauptung, die Leute können das nicht, gilt nicht. Immer dort, wo genügend Behälter in Bürgernähe aufgestellt werden, wo die Kinder in der Schule Umwelterziehung haben, wo es eine Abfallberatung gibt, wo die Leute motiviert werden, dort funktioniert es. Von allein, ohne Werbung, ohne Begeisterung geht es nicht.

Aber aus der Logik heraus erklärt sich, warum es in Europa immer noch 23 Länder gibt, in denen deponiert wird. Ich schäme mich für Europa, dass das 2017 noch der Fall ist. Es geht um 400 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß, der nicht notwendig wäre. Die Politik ist zu nachlässig. Bis 2025/30 wird das jetzt auf europäischer Ebene geregelt. Das ist gut, aber eigentlich wurden 25 verschenkt.

Was ist aktuell der gefährlichste Abfall?

Hans Roth: Gefährlicher oder problematischer Abfall ist unser tägliches Geschäft. Bei Spraydosen, Elektronikschrott, Lösemitteln oder Industrieabfällen müssen wir besonders sorgfältig sein und eng mit den Fabriken zusammenarbeiten und genau analysieren und lückenlos deklarieren. Das haben wir im Griff. Gefährlich wird es dann, wenn Bürger oder Firmen nicht gut trennen und beispielsweise Lithium-Ionen-Akkus nicht zur Übernahmestelle bringen oder nicht beim Händler zurückgeben. Die ordnungsgemäß abgegebenen haben wir im Griff. Jene, die unkontrolliert zurückkommen, machen uns die größten Sorgen. Wenn die Batterien im Restmüll oder Papiercontainer landen, wir sie nicht finden und sie beim Transport oder bei der Behandlung beschädigt werden, entsteht ein großer Schaden. In letzter Zeit hat es vermehrt Brände aus diesem Grund gegeben. Gesetzlich ist derzeit festgelegt, dass nur rund die Hälfte der Lithiumbatterien gesammelt werden müssen. Deshalb mein Appell: Batterien, die nicht mehr gebraucht werden, bitte sofort zurückgeben. Es ist viel Fachpersonal nötig, um das, was wir Menschen verbraucht haben, einer Verwertung zuzuführen. Das ist manchmal die größere Herausforderung als etwas zu produzieren.

Wäre ein Pfandsystem eine Möglichkeit?

Hans Roth: Beim Kauf einer Petflasche oder eines Kühlschrankes zahlen Sie bereits die Entsorgung. Es gibt also keinen Grund, das irgendwo hinzuschmeißen. Tatsächlich sind manchmal Pfandsysteme besser, aber sie sind auch teuer und ein enormer Aufwand. In Deutschland sind hunderte Millionen übriggeblieben, weil die Pfandflaschen nicht zurückgegeben wurden. Wenn jemand die Flasche zu Hause nicht in die Kunststofftonne wirft, bringt er sie auch nicht ins Geschäft zurück.

Bei Lithiumbatterien könnte man ein Pfandsystem überlegen, wenn es den Herstellern nicht gelingt, die Batterien sicherer zu machen, was sehr schwierig ist, weil immer eine gewisse Restenergie in den Batterien verbleibt.

Wie gut steht Österreich im Bereich Kreislaufwirtschaft im europäischen und internationalen Vergleich da? Welche Länder sind Vorbilder?

Hans Roth: Österreich gehört zu den fünf Spitzenreitern in Europa. Wir waren immer Vorreiter, jetzt haben uns ein paar andere überholt. Dänemark, Schweden und Norwegen setzen derzeit auch sehr gute Initiativen. Aber das ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wir jammern auf hohem Niveau. Aber besser werden ist trotzdem erlaubt, auch bei uns im Unternehmen. Wir wollen unseren Beitrag zu mehr Klimaschutz leisten sowie Abfallvermeidung und Recycling weiter forcieren. Bei den Fahrzeugen können wir durch Hybrid-LKWs und Elektroaufbauten den CO2-Ausstoß wesentlich reduzieren. Bei Anlagen muss die stoffliche Verwertung noch mehr im Vordergrund stehen. Im Nachhaltigkeitsbereich versuchen wir bei Saubermacher immer ein Vorbild zu sein.

Viele aus der ganzen Welt kommen nach Österreich und schauen sich an, wie wir das machen, und kopieren auch einiges. In Österreich hat sich um diese Themenfeld eine starke Umweltindustrie entwickelt.

Für Verbesserungen braucht es auch nicht viel Neues. Wir müssen nur die Problematik wieder mit mehr Öffentlichkeitsarbeit ins Bewusstsein bringen. Und von der Politik würde ich mir wünschen, dass sie Maßnahmen und Projekte unterstützt, um Mülltrennung mit Anlagen zu verbessern. Mehr Unterstützung für Pilotprojekte wäre notwendig. Dabei geht es weniger um finanzielle Unterstützung als die Möglichkeit, da gemeinsam etwas zu tun. Auch wir haben durch das EU-Kreislaufwirtschaftspaket noch große Herausforderungen und dürfen nicht locker lassen. Wir tragen dabei alle Verantwortung. Die Industrie ist beispielsweise im Produktdesign gefordert, um Abfall zu vermeiden und zu reduzieren.

Der Umgang mit Abfall ist letztlich auch eine wirtschaftliche Frage. Entsorgung ist Abbild unserer Lebensgewohnheiten. Wenn jemand wenig einkauft und Wasser aus der Wasserleitung trinkt, kann er sich die Müllabfuhr fast sparen. Zahlen muss er sie trotzdem. Sie ist leider nicht verursachergerecht, aber vielleicht kommt das noch. Auch Lebensmittelabfälle sind ein großes Problem. In der Steiermark werden im Wert mehr Lebensmittel weggeworfen als die gesamte Entsorgung kostet, in Wien ebenso. So betrachtet sind die Kosten für die Entsorgung auch relativ. Entsorgung ist Dienstleistung, die den Menschen das Leben erleichtern soll. Wenn Amazon Packerl bis an die Haustür bringt, könnte ich mir auch vorstellen, dass der Abfall direkt von der Wohnung abgeholt wird.

Was kommt mit dem europäischen Kreislaufwirtschaftspaket auf uns zu?

Hans Roth: Etwas Gutes. Bis 2030 müssen alle Deponien in Europa – von Spanien bis ans Schwarze Meer, von Malta bis Schweden – geschlossen werden. Das ist dann ökologischer Standard. Trotzdem ist es erschütternd, dass es so lang dauert, und dass in Zeiten, in denen wir zum Mond fliegen können und bald in selbstfahrenden Autos sitzen. Es müssen Anlagen für die Entsorgung gebaut werden. Das eröffnet auch Chancen für die österreichische Industrie. Wenn alles, was durch das Kreislaufwirtschaftspaket geplant ist, auch erreicht wird, haben wir 400 Millionen Tonnen CO2 eingespart, dann haben wir wirklich etwas gemacht. Warum wir aber bis 2030 brauchen, verstehe ich nicht.

Hans Roth ist Präsident des Verbandes Österreichischer Entsorgungsbetriebe und Gründer des Entsorgungs- und Verwertungsunternehmens Saubermacher