Wald mit Fluss von oben

Weltweit geht immer noch Wald verloren, aber Wald ist für die Zukunft des Planeten unentbehrlich. denk.stoff sprach mit dem FAO-Programmkoordinator für Nachhaltigkeit Ewald Rametsteiner über die Herausforderungen für den Wald in verschiedenen Teilen der Welt, die verschiedenen Funktionen des Waldes und die Bedeutung der UN-Nachhaltigkeitsziele.


Wie nachhaltig wird Wald heute genutzt?

Ewald Rametsteiner: Nachhaltigkeit ist ein komplexer Begriff, der sich nicht auf eine einzige Variable reduzieren lässt. Grundsätzlich gilt jedoch: Wenn Wald verschwindet, ist das keine nachhaltige Waldnutzung. Global gesehen nimmt die Waldfläche insgesamt ab. Rund 3,3 Millionen Hektar jährlich gehen verloren. Wenn wir das auf Österreich umlegen, heißt das, dass der gesamte Wald vom Burgenland bis hinein nach Tirol verschwindet – jedes Jahr. Seit den 1990er Jahren haben wir konsistente Statistiken zu den Waldverlusten. Damals war die Abholzung stärker als heute. Wald geht zwar immer noch verloren, aber weniger – und das trotz einer stark wachsenden Weltbevölkerung.

Wirtschaftsentwicklung ist treibende Kraft hinter der Abholzung

Wie verteilen sich die Waldverluste auf die verschiedenen Weltregionen?

Ewald Rametsteiner: Wenn man sich die Klimazonen vom Nordpol südwärts ansieht, nimmt die Problematik zum Äquator hin zu. Die borealen Wälder sind wirtschaftlich nicht so interessant, dort ist die Waldfläche relativ stabil. In den temperierten Zonen befinden sich eher wohlhabende Länder, die von der Nutzung der Wälder nicht unmittelbar abhängig sind. Da nimmt die Waldfläche tendenziell sogar zu. Das trifft auf die Länder in Europa und Nordamerika zu, aber auch auf China. China hat in den vergangenen Jahren sehr intensiv in die Aufforstung investiert, unter anderem um die Dörfer gegen Naturgefahren wie Wüstenbildung abzusichern und um karges Land besser zu nutzen. In den Subtropen ist die Waldfläche ebenfalls stabil. Das größte Problem sehen wir in den tropischen Wäldern. Hier liegt die Abholzungsrate fast doppelt so hoch wie im weltweiten Durchschnitt.

Ewald Rametsteiner, FAO

Welche Gründe gibt es für Abholzung?

Ewald Rametsteiner: In Zentral- und Südamerika verschwindet Wald oft, um der kommerziellen Landwirtschaft Platz zu machen. Auch in Süd- und Südostasien, vor allem in Indonesien, bestehen massive wirtschaftliche Interessen, die Flächen für die exportorientierte Landwirtschaft zu nutzen. Hier ist der Dollar die treibende Kraft der Abholzung.

In Afrika geht es hingegen vor allem darum, Subsistenz zu sichern. Abholzung findet hier statt, damit das Essen auf die Teller kommt. Einerseits geht es um Flächen für die Essensproduktion, andererseits auch um die Energie für die Zubereitung. In vielen afrikanischen Ländern entfallen rund 80 Prozent der Energieaufbringung auf Holz. In ländlichen Gebieten sind die Menschen fast ausschließlich auf Holz als Energiegrundlage angewiesen, weil die Energieinfrastruktur fehlt, Energie verhältnismäßig teuer und auch die Versorgung oft wenig verlässlich ist. Wie bei uns in früheren Jahrhunderten ist es in erster Linie Aufgabe der Mädchen und Frauen, für den Brennstoff zu sorgen. Wir schätzen, dass weltweit rund 2,4 Milliarden Menschen Holz für die Essenszubereitung verwenden.Holz ist weltweit eine enorm wichtige Quelle für erneuerbare Energie. Rund 40 Prozent der erneuerbaren Energie kommen aus dem Wald.

Was macht die Nutzung von Holz nachhaltig?

Ewald Rametsteiner: Wichtig in der Holznutzung ist vor allem eine nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder. Als ein Indikator wird hier oft der Anteil der als „nachhaltig“ zertifizierten Waldflächen herangezogen. Rund 500 Millionen Hektar – etwa acht Prozent – der weltweiten Waldflächen sind zertifiziert. Die Hälfte der zertifizierten Wälder liegt in Nordamerika, rund ein Viertel in Europa. Diese Zahlen sind allein aber nur bedingt aussagekräftig. Weil man sich Zertifizierung auch leisten können muss. Das wird nur dann gemacht, wenn der Markt das verlangt oder diese Kosten wieder hereingespielt werden. Für einen Großteil der Flächen in Afrika, Asien und Lateinamerika ist dies nicht der Fall.

Wald gehört nicht nur ins Umwelteck

Was hat der Wald mit den UN-Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals (SDGs) zu tun?

Ewald Rametsteiner: Der Wald ist für die Erreichung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele von großer Bedeutung. In Ziel 15 „Leben an Land“ heißt es, dass das Abholzen der Wälder gestoppt werden soll. Solange wir Entwaldung nicht stoppen, können wir den SDG-Gesamtkatalog nicht erreichen. Der Wald ist für viele Produkte und Leistungen, die wir für das menschliche Leben benötigen, sehr wichtig. Daher hängen viele andere Nachhaltigkeitsziele auch mit dem Wald zusammen. Beispielsweise SDG 1 „Keine Armut“: Viele Menschen sind auf die Produkte aus dem Wald zur Sicherung ihrer Existenz angewiesen, Wald hat hier die Funktion, Armut zu reduzieren.

Ähnliches gilt für SDG 2 „Kein Hunger“: Millionen von Menschen erwirtschaften das Geld, das sie zum Kauf von Essen benötigen, im Wald. Nahrungsmittelproduktion ist allerdings viel effizienter, wenn man Wald rodet und die Fläche landwirtschaftlich nutzt. Hier zeigt sich deutlich ein Zielkonflikt. Manchmal allerdings nur scheinbar – bei Hunger ist das Hauptproblem oft nicht der Mangel and Nahrungsmitteln vor Ort, sondern das fehlende Geld, um es sich zu kaufen.

Die Liste der mit dem Wald in Verbindung stehenden SDGs lässt sich fortsetzen: SDG 6 „Sauberes Wasser“ spielt in die Filterfunktion des Waldes hinein. SDG 7 „Energie“ hängt ganz unmittelbar mit der Verwendung von Holz als erneuerbarer Brennstoff zusammen. Teilweise ist natürlich auch SDG 8 „Arbeit und Wirtschaftswachstum“ von Bedeutung, weil Wald einen bedeutenden Arbeitsplatz und Wirtschaftsfaktor darstellt. Für SDG 12 „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ sind Waldprodukte ebenfalls wesentlich. Der CO2-Speicher des Waldes ist durch SDG 13 „Klimaschutz“ angesprochen. Und SDG 15 „Leben an Land“ umfasst auch die zentrale Rolle von Wäldern für die Erhaltung der Artenvielfalt.

Aber es gibt auch Verbindungen zum Wald, wo man sie auf den ersten Blick vielleicht nicht vermutet, wie bei SDG 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ und der fortschreitenden Urbanisierung: Bewohner einer Stadt haben einen kleineren ökologischen Fußabdruck in den Bereichen Mobilität, Flächen- und Energieversorgung als Menschen am Land. Auch die Erwartungen von Menschen in der Stadt und am Land zum Thema Wald sind unterschiedlich. Erstere wollen eher einen Ausflug in die unberührte Natur machen, letztere wollen von den Wäldern der Gegend ihr Einkommen erwirtschaften. Das spiegelt sich auch gesamtwirtschaftlich wider: In Österreich sind sowohl Holzexporte als auch der Tourismus starke Devisenbringer – beide hängen vom Wald ab, aber sehr unterschiedlich.

Beim näheren Hinschauen zeigen sich die sehr starken Zusammenhänge und die Wechselwirkungen zwischen dem Wald und den Nachhaltigkeitszielen. Bei allen Maßnahmen zur Erreichung der SDGs sollten wir das im Gedächtnis behalten. Zu oft wurde und wird der Wald als Kollateralschaden in Kauf genommen, mit katastrophalen Auswirkungen, die sich manchmal erst viel später zeigen. Das ist die Gefahr, wenn man den Wald und SDG 15 ins Umwelteck verbannt. Wenn nicht alle SDGs gemeinsam erreicht werden, haben sie ihren Sinn verfehlt.

Stopp von Abholzung ist erste Priorität

Ewald Rametsteiner: Für die FAO sind die SDGs eine Prioritätenliste. Wir sehen hier für unsere konkrete Arbeit zum Thema Wald eine Reihe von Themen: Abholzung, Klimawandel sowie die nachhaltige Nutzung für Materialien und Dienstleistungen.

Die Waldzerstörung durch große, kommerzielle landwirtschaftliche Produktion für den Export, insbesondere Fleisch, Soja, Mais und Palmöl, hat eine Reihe von Initiativen ins Leben gerufen, um diese Produkte „abholzungsfrei“ zu machen. Das passiert über Selbstverpflichtungen von wesentlichen Produzenten, Zertifizierung, die Anpassung von Rechtssystemen oder andere Maßnahmen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es ist noch viel zu tun – sowohl auf der Konsumenten- als auch auf der Produzentenseite.

Das betrifft vor allem Lateinamerika und Südostasien. In Afrika ist das Problem anders gelagert. Dort sehen wir einerseits ein starkes Bevölkerungswachstum und andererseits eine unproduktive Landwirtschaft. Afrika importiert also zunehmend Nahrungsmittel - in Milliardenhöhe. Hier passiert gerade ein Umdenken in Richtung Intensivierung der Landwirtschaft, um das Potential zu nutzen. Denn die Landwirtschaft ist in vielen Ländern nach wie vor das Rückgrat der Wirtschaft, und der wichtigste Arbeitgeber. Das macht die Landwirtschaft zum Schlüssel für wirtschaftliche Entwicklung, aber auch zur Erreichung der SDGs. Doch Landwirtschaft nicht nur zu intensivieren, sondern auch ökologisch und sozial nachhaltig zu machen ist eine komplexe Aufgabe. Da braucht es eine gute Kombination von Technologie und agro-ökologischem Wissen. Und ein gutes Verständnis davon, was die Leute bereit sind, aufzunehmen und umzusetzen – auch nachdem ein Projekt vorbei ist. Damit Landwirte nachhaltiger wirtschaften, braucht es vor allem auch den politischen Willen, in Rahmenbedingungen für eine intensivere, aber nachhaltige Landwirtschaft zu investieren. Das ist in einer zunehmenden Reihe von afrikanischen Staaten durchaus der Fall. Wir hoffen also, dass die Intensivierung somit nicht auf Kosten des Waldes geht.

Wälder müssen sich auch anpassen

Wie beurteilen Sie die Wechselwirkungen zwischen Wald und Klimawandel?

Ewald Rametsteiner: Die Rolle der Wälder als Kohlenstoffspeicher ist für den Klimaschutz von großer Bedeutung. Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen sich die Wälder aber auch anpassen. Dies ist ein langfristiger Prozess, mit dem die Forstwirtschaft in Österreich vor Jahrzehnten begonnen hat. Hier sind aber noch viele weitere Schritte nötig, um die Wälder klima-resilienter zu machen – und das Wissen, wie sich Klimaveränderungen lokal auswirken. Für Entwicklungsländer ist Anpassung der Wälder an den Klimawandel weitgehend noch ein neues Thema. Es gibt allerdings erhebliche Bestrebungen, degenerierte Böden mit Bäumen zu bepflanzen – das hat einen positiven Effekt zum Klimaschutz, ist oft ökologisch sinnvoll und schafft im besten Fall mehr Produktivität und neue Einkommensmöglichkeiten. In Afrika ist das zum Beispiel die African Forest Landscape Restoration Initiative. Auch die Great Green Wall Initiative in Afrika hat sich mittlerweile in eine vorbildliche Bottom-up-Bewegung entwickelt.

Was braucht es in Europa, um nachhaltiger als bisher mit dem Wald umzugehen?

Ewald Rametsteiner: Kreislaufwirtschaft ist in Europa und auch in Österreich ein Zukunftsthema. Die Forst- und Holzwirtschaft ist hier prinzipiell gut positioniert. Auch die Überzeugung, dass Wälder nicht nur für die Holzproduktion da sind, sondern die Dienstleistungen des Waldes wichtig sind, hat sich mittlerweile durchgesetzt – wo wäre der Tourismus in Österreich ohne Wald? Hier hat Österreich mit dem „Walddialog“ eine vorbildliche Einrichtung, um den Interessensausgleich und vor allem die gemeinsame Zukunftsentwicklung über Sektorgrenzen hinweg voranzutreiben.

Ewald Rametsteiner ist seit 2015 Programmkoordinator des größten Strategischen Programms der FAO „Making agriculture, forestry and fisheries more productive and sustainable“, davor war er Leiter der Forstpolitik der FAO Forstabteilung.