Durch den Shutdown zur Bekämpfung der Ausbreitung von Covid-19 rutschte die Weltwirtschaft in die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Über den Preis von Sicherheit, unterschiedliche Betroffenheiten und über die Frage, wer die Krisenkosten bezahlt, sprach denk.stoff mit dem Ökonomieprofessor und Wifo-Leiter Christoph Badelt.

Was hat uns die Covid-Krise über unser Wirtschaftssystem gelehrt?

Christoph Badelt: Die Krise hat deutlich aufgezeigt, wie weit verzweigt das marktwirtschaftliche System ist und wie gut es funktioniert. Wollte ich heute eine Einführung in die Volkswirtschaftslehre geben, würde ich die Schwierigkeiten beim Shutdown anführen, um zu zeigen, wie verwoben unsere Wirtschaft ist. Da wurde für alle sichtbar, wer von wem direkt oder indirekt abhängig ist. Das zeigt die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft. Ich ziehe daraus aber nicht den Schluss, die Marktwirtschaft abzuschaffen – ganz im Gegenteil. Wir sollten aber die Frage beantworten: In welchen wirtschaftlichen Bereichen sollte man mit der internationalen Arbeitsteilung vorsichtiger umgehen? Wo sollten wir uns eine gewisse Autarkie oder zumindest eine Diversifikation der Lieferanten vorbehalten?

Was wäre ihre Antwort auf diese Frage?

Christoph BadeltDiversifikation ist prinzipiell gescheit. Unternehmen sollten Lieferketten überdenken und ihre Vorprodukte nicht ausschließlich von einem Unternehmen, einem Land oder einem Kontinent beziehen. Das ist natürlich leicht gesagt und eine betriebswirtschaftliche Weisheit, die jeder gute Manager sowieso kennt. Wenn aktuell gewisse Produkte nur aus China kommen, hat das auch einen betriebswirtschaftlichen Grund. Daher brauchen wir eine österreichische – oder besser noch europäische – Industriepolitik, um bestimmte Technologien, bestimmte Standorte für Schlüsselprodukte hier zu behalten. Die Idee spiegelt sich auch in der Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes wider, wo es um die Beteiligung von ausländischem Kapital geht. An den Debatten sieht man, dass das nicht trivial ist.

Was heißt das für das für das Preisniveau, wenn wir den Industriestandort absichern und wichtige Güter in Österreich bzw. Europa produzieren?

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» Wie viel Geld gibt man für Dinge aus, die man akut nicht braucht, aber später vielleicht brauchen könnte? Diese Dimension der Effizienzdiskussion hat bisher zu wenig Beachtung gefunden.«

Christoph Badelt:Das kann sich natürlich im Preisniveau niederschlagen. Kann aber auch Auswirkungen auf die Verfügbarkeit haben. Aus aktuellem Anlass wurden Schutzmasken und Medizinprodukte thematisiert, aber ein Blick auf unsere Mobiltelefone und die Bestandteile zeigt uns, dass das viel weiter reicht.

Eine weitere Lehre aus der Corona-Krise ist die Debatte um die Bewertung von Effizienz und Sicherheit bzw. Bevorratung im öffentlichen Sektor. Wie viele Intensiv-Spitalsbetten brauchen wir als Sicherheit? Wie viel Geld gibt man für Dinge aus, die man akut nicht braucht, aber später vielleicht irgendwann brauchen könnte? Diese Dimension der Effizienzdiskussion hat bisher zu wenig Beachtung gefunden.

Das IHS hat ja die Forderung nach einem Bettenabbau in den Spitälern trotz Corona bekräftigt. Wie sehen Sie das? Ist die Bewertung jetzt eine andere?

Christoph BadeltWir hatten ja nicht zu viele Spitalsbetten, weil wir uns auf eine Pandemie vorbereitet haben. Trotzdem ist uns diese Tatsache dann zugute gekommen. Für mich ist das eine Grundsatzfrage. Als Privatperson können Sie selbst entscheiden, wie risiko-avers Sie ihr Leben gestalten wollen. Die einen haben keine Mineralwasserflaschen auf Vorrat, andere räumen sich den Keller damit voll, die eine baut einen Atombunker, der andere kauft Klopapier. In diesen Bereichen können Sie Ihre persönliche Risikopräferenz leben. Wo immer es aber um Kollektivgüter geht, muss die politische Ebene die Entscheidung treffen. Das ist eine interessante Diskussion.

Was kostet die Vermeidung von Risiken – bei Krankenhausbetten, Medikamentenproduktion in Europa etc.?

Christoph BadeltDa gibt es keinen Milliardenbetrag. Aber es ist tatsächlich so, dass Sie sich Resilienz kaufen müssen. Ganz im Sinne der Lehrbuch-Ökonomie geht es um die Verwendung knapper Güter. Sie können knappe Ressourcen auch für Sicherheit, für Vorsichtsmaßnahmen und für die Absicherung im Katastrophenfall ausgeben. Wenn dann keine Katastrophe eintritt, dann haben Sie das Geld umsonst ausgegeben. Dann sind Sie bei der ehemaligen Gesundheitsministerin Rauch-Kallat und den Grippemasken. Nachher sind dann alle gescheit. Aber diese Einschätzung hat sich mit Corona auch wieder verändert.

Wir merken jetzt, wie rasch sich Prioritäten in der Politik verschieben können, wenn eine Katastrophenstimmung aufkommt. Da stellt sich dann die Frage, wie heftig müssen Umweltkatastrophen werden, damit die Bereitschaft, in diesem politischen Feld etwas zu unternehmen, ausreichend groß wird? Das ist auch insofern bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viel Geld jetzt zur Verfügung steht. Nicht, dass ich das kritisch sehe, aber man merkt: Im Alltag ist der Druck der Klimaproblematik noch nicht groß genug.

Kann sich diese Einschätzung im Laufe der Zeit ändern?

Christoph BadeltEs gibt schon Unterschiede zwischen der Pandemie und der Klimaproblematik. Bei einer solchen Pandemie kann jeder betroffen sein und dann gibt es – in einer zivilisierten Wohlfahrtsstaat – wenig Ausweichmechanismen. In einem Land ohne funktionierendem Gesundheitssystem sieht das natürlich anders aus. Aber wenn Sie davon ausgehen können, dass jeder, der die Krankheit bekommt, auch Zugang zu einer entsprechenden Behandlung haben wird, dann sind nahezu alle gleich betroffen. Bei Klimaproblemen ist dies nicht der Fall. Ist jemand in einer guten ökonomischen Position, kann er sich besser abschotten. Die Trittbrettfahrer-Problematik ist bei Klimafragen grundsätzlich größer.

Unterm Strich ist es natürlich auch eine Frage, wie dringlich ein Problem angesehen wird. Bei einer katastrophalen Hochwassersituation bekommen Sie auch leichter einen Damm gebaut. Und nach Tschernobyl oder Fukushima war die Stimmung gegen Atomkraft auch stärker. Die Klimakatastrophe trifft selten die ganze Welt auf einen Schlag. Aber Corona lehrt uns, was politische Prioritäten bewegen können, wenn etwas als dringendes Problem erkannt wird.

Ist die Covid-Krise eine Chance, dass die Dringlichkeit der Klimakrise erkannt wird oder besteht die Gefahr, dass das Klima angesichts der Pandemie in den Hintergrund tritt?

Christoph BadeltEs gab Stimmen: Jetzt nach der Covid-Krise wird man die Prioritäten anders setzen müssen. Das finde ich schlimm. Es besteht schon die Chance, wenn man aus konjunkturellen Gründen öffentliche Investitionen tätigt, dass man die richtigen tätigt. Und damit meine ich jetzt nicht den Autobahnbau im Waldviertel. Der positive Effekt kommt sicher nicht von Corona, sondern von den Konjunkturprogrammen nach Corona. Das sind alles Dinge, die schon vorher versprochen waren und im Regierungsprogramm stehen.

Irgendwann wird aber der Finanzminister einen Kassensturz machen und dann wird das große Heulen und Wehklagen losgehen, weil wir für gar nichts mehr Geld übrig haben. Ob dann alle Maßnahmen, die das Klima betreffen, gerettet werden können, bleibt abzuwarten.

Wo wird das Geld eingespart werden?

Christoph BadeltIn der Regierungskonstellation haben wir die Chance, dass die Umwelt nicht verloren geht. Aufgrund der politischen Prioritäten ist ein gewisser Ausgleich zwischen dem wirtschaftlichen und dem ökologischen Ziel wahrscheinlich. Irgendwie muss das gehen. Da kann der Finanzminister nicht sagen, er hat kein Geld mehr. Das halten die Grünen nicht durch. Aber es wird eine harte wirtschaftliche Zeit.

Wie sieht die Betroffenheit unterschiedlicher Altersgruppen aus?

Christoph BadeltVon Arbeitslosigkeit sind aktuell einerseits viele Junge betroffen. Bemerkenswert ist aber, dass gleichzeitig die traditionellen Problemgruppen wieder betroffen sind: Ältere und gering Qualifizierte. Bei Problemen sind es immer die gleichen Gruppen, die zuerst ihren Job verlieren – ergänzt diesmal um die ganz Jungen – nach dem Motto: Die am kürzesten dabei sind, können wir als erste freisetzen. Fehlende Lehrstellen sind jetzt ein besonderes Problem.

Es gab in punkte Betroffenheit also wenige Überraschungen. Die ältere Generation ist gesundheitlich stärker gefährdet. Die Jüngeren sind – allein aufgrund der Erhöhung der Staatsschulden, die die es letztlich zu zahlen gilt – betroffen. Im Augenblick wird vor allem eine Betroffenheit nach Branchen sichtbar. Allen voran der Tourismus, Gastronomie und Bauwirtschaft, aber auch Leiharbeit. Die Bauwirtschaft hat sich als erste wieder erholt, weil der Shutdown für diese Branche relativ kurz war und sie vorher schon in einer relativ guten Situation war. Die allerersten Corona-Opfer waren die persönlichen Dienstleistungen und das ist jetzt in die Industrie hinüber geschwappt, aber diese steckte schon davor in einer Rezession.

Wann ist mit einer Erholung der Konjunktur zu rechnen?

Christoph Badelt:Das WIFO hat soeben eine neue Konjunkturprognose veröffentlicht. Wir rechnen für heuer mit einem Minus von 7,0% und für nächstes Jahr wieder mit einer Wachstumssteigerung von 4,3%. Wir gehen davon aus, dass im dritten Quartal dieses Jahres die Wachstumsraten wieder positiv werden, die Rezession also ihren Tiefpunkt zur Jahresmitte überschritten hat. Das Produktionsniveau, das wir vor Corona hatten, würde demgemäß erst 2022 wieder erreicht werden. Leider dauert der Prozess am Arbeitsmarkt noch um einige Jahre länger. Wir rechnen für heuer mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenrate von 9,7%, das Vorkrisenniveau werden wir aber bestenfalls nach 2024 wieder erreichen.

Wer wird die Krisenkosten letztlich bezahlen?

Christoph Badelt:Dafür müssen wir zwischen Staatsschulden und laufendem Budget unterscheiden. Wir im Wifo rechnen damit, dass die Staatsschulden um heuer um 10 Prozentpunkte steigen – von 70 auf rund 80 Prozent des BIP, in den Folgejahre bis gegen 86%.  Das verursacht kaum laufende Kosten, weil wir derzeit wenig bis keine Zinsen für die Verschuldung zahlen. Es geht nur darum, dass das irgendwann einmal zurückgezahlt werden kann – von künftigen Generationen.

Beim laufenden Budget rechnen wir aktuell mit einem Defizit von 10,3 % des BIP.  Zwar ist zu hoffen, dass ein gewisser Teil dieses Defizits durch den wirtschaftlichen Aufschwung von selbst abgedeckt wird – indem die Unterstützungszahlungen auslaufen und die Steuereinnahmen steigen. Aber leider sind auch hier die mittelfristigen Perspektiven nicht allzu rosig. Wir rechnen sogar 2024 noch mit einem Defizit von 3%. Hier taucht ein altes Problem wieder neu am Horizont auf, das der Haushaltskonsolidierung.

Was sind diese traditionellen Maßnahmen?

Christoph BadeltDa bleibt nur, entweder die Ausgaben zu kürzen oder die Einnahmen zu erhöhen oder das Defizit erhöhen und dann geht das immer weiter – mehr als die drei Möglichkeiten gibt es nicht. Tatsächlich ist eine Mischung aus diesen Möglichkeiten das Plausibelste. Die Ausgestaltung wird man letztlich davon abhängig machen, ob es sich um zwei, zehn oder zwanzig Milliarden handelt.

Weiß man das im Finanzministerium schon?

Christoph BadeltNicht genau. Ein gar nicht so kleiner Teil der Ausgaben, die jetzt versprochen wurden, sind Haftungen. Man weiß nicht noch nicht, ob sie schlagend werden oder nicht – das hängt von der Insolvenzentwicklung ab. Und auch beim riesigen Topf Kurzarbeit kann noch nicht gesagt werden, wie viel tatsächlich abgerufen wird. Wenn der Finanzminister zwölf Milliarden für die Kurzarbeit reserviert, hofft er natürlich gleichzeitig, dass er nur einen Teil davon wirklich ausgeben muss. Bei den Haftungen ist es ähnlich.

Welche der Maßnahmen zur Bekämpfung der ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise waren aus Ihrer Sicht sinnvoll, welche nicht?

Christoph Badelt:Ich kenne keine Maßnahme größeren Stils, die ich als fraglich ansehen würde. Die ersten Maßnahmen waren Zuschüsse für Unternehmen, um zu verhindern, dass sie gleich zusperren müssen, damit sie Arbeitskräfte nicht kündigen, sondern halten – nämlich in Kurzarbeit. Es gab Zuschüsse für jene, denen das Einkommen verloren ging – sei es durch Arbeitslosigkeit oder Auftragsverluste von EPUs. Man kann natürlich darüber streiten, ob alles gut gelaufen ist. Ob es zu lange gedauert hat. Aber das sind Durchsetzungsthemen.

In der einen oder anderen Weise haben alle Regierungen in der ersten Phase das Gleiche gemacht. Jetzt, in der zweiten oder dritten Phase, kann man schon viel mehr darüber streiten, was gescheit und was nicht gescheit ist. Von einer allgemeine Mehrwertsteuersenkung, wie sie in Deutschland beschlossen wurde, halte ich nichts. Das ist eine versteckte Form der Autoprämie. Wenn Sie die Mehrwertsteuer für sechs Monate um zwei bis drei Prozent senken, glauben Sie, dass die Butter beim Billa um so viel billiger wird, dass die Leute viel mehr Butter kaufen? Das ist nicht realistisch. Das kann nur bei großen Anschaffungen eine Rolle spielen. Die in Österreich angekündigten Mehrwertsteuer-Senkungen könnten EU-rechtswidrig sein, weil wir ohnehin schon drei verschiedene Sätze haben – und in der angekündigten Form nur Zuschüsse für Unternehmen, weil man nicht damit rechnet, dass Reduktion weitergegeben wird. Insofern ist eine Unternehmenszuschuss im Gewand einer Mehrwertsteuer-Senkung.

Besteht die Gefahr, dass Österreicher zum Einkauf nach Deutschland ausweichen?

Christoph BadeltDas unterstellt, dass Mehrwertsteuer-Senkungen in Deutschland generell weitergegeben werden. Drei Prozent sind für Güter des täglichen Bedarfs nicht wirklich merkbar. Abgesehen davon, dass Kleidung und Lebensmittel in Deutschland immer schon billiger waren. Ich glaube, dass das nur für dauerhafte Konsumgüter Auswirkungen auf die Konsumentenpreise haben wird. Das wird das nicht viele Käufe abziehen. Die Mehrwertsteuer ist nicht der wichtigste Faktor für Preisunterschiede.

In der Covid-Krise hat sich die Regierung – so der Eindruck – vermehrt Rat von Experten geholt? Hat die Regierung Sie angerufen?

Christoph BadeltJa. Auch wir Ökonomen wurden nach unserer Meinung gefragt. Wir waren gelegentlich bei Regierungsmitgliedern und haben beraten. Aber die Entscheidung haben sie dann selbstverständlich ohne uns getroffen. Die Simulationsforscher und Virologen waren in häufigem und engem Austausch mit Regierungsmitgliedern. Das war bei uns nie der Fall.

Haben Experten jetzt einen höheren Stellenwert als vor der Covid-Krise?

Christoph BadeltMeiner Meinung nach schon. Trotzdem bilden – zumindest die Wirtschaftswissenschaftler – nicht die Geheimregierung, auch wenn manche Leute das glauben wollen. Das liegt wohl auch daran, dass es in den politischen Stäben und auf Ebene der Spitzenbeamten genügend Leute gibt, die grundsätzlich etwas von Ökonomie verstehen, und die das Vertrauen der Entscheidungsträger haben. Und dann fragt man halt zusätzlich noch externe Experten.

Bemerkenswert ist, dass es in der aktuellen Krise selten Meinungsverschiedenheiten zwischen den ökonomischen Experten gab. Auch wenn es in der Grundhaltung verschiedene Auffassungen über für mehr oder weniger Staatseinfluss gibt. In der akuten Krisenbekämpfung hat es keine großen Meinungsverschiedenheiten gegeben.

Wie ist Ihre Prognose für die künftige Entwicklung?

Christoph BadeltDie Zeit wird noch länger schwierig bleiben. Selbst dann, wenn es keinen Rückfall in der Krankheit gibt. Die wirtschaftlichen Schäden werden wir nicht so rasch aufholen können.

Christoph Badelt ist Volkswirt und seit 1989 Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, seit 2019 ist er emeritiert. Seit 2016 leitet er das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung.