Bei strahlendem Wetter und in der gelösten Stimmung der letzten Schulwoche lud die HBLA Sitzenberg zum Hoffest ein. Gefeiert wurde unter anderem das 10-jährige Bestehen des Ökosozialen Schüler:innenforums. Ehrengast Dr. Josef Riegler, Begründer der ökosozialen Marktwirtschaft, betonte in seiner Festrede die Bedeutung des ökosozialen Gedankens, der auch bei der Veranstaltung im Mittelpunkt stand. Er hob die weltweite Wirkung positiver Initiativen hervor und rief dazu auf, sich nicht von einer einseitig negativen Berichterstattung entmutigen zu lassen.
10 Jahre Ökosoziales Schüler:innenforum
von Josef Riegler
Verehrte Anwesende!
Ein herzliches „Dankeschön“ für 10 Jahre Engagement im Dienste der ökosozialen Idee!
Allen voran den Initiator:innen mit Frau Professorin Strasser sowie allen, die sich seither eingebracht haben und einbringen. In einer Zeit, in der die Gesellschaft immer mehr in extreme Ränder auseinanderzubrechen droht, ist die auf Zusammenführung und Balance ausgerichtete ökosoziale Idee überlebenswichtiger denn je. Natürlich habe ich für diese Veranstaltung ein Referat vorbereitet, aber das, was wir nun in den Präsentationen und musikalischen Darbietungen erleben durften, hat mich so bewegt, dass ich spontan das sagen möchte, was mir gerade aus dem Herzen kommt.
Für das Lebensgefühl von euch Schülerinnen und Schülern wurde ich in „grauer Vorzeit“ geboren: Am 1. November 1938. Exakt 10 Monate später, am 1. September 1939, plärrte die Stimme von Adolf Hitler aus dem Radio: „Ab heute, 6 Uhr wird zurückgeschossen!“ Mit dieser Lüge und dem brutalen Überfall auf Polen begann der Zweite Weltkrieg mit mehr als 55 Millionen Toten und einem total zerstörten Europa. Obwohl noch keine 6 Jahre alt, wurde ich Anfang September 1944 in die erste Klasse Volksschule eingezogen. Zwei Monate später traf eine Nachricht meine Familie wie ein Keulenschlag: Der Vater ist tot! Gefallen in einem längst sinnlos gewordenen Krieg. Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, den Soldatenfriedhof am Futa-Pass zwischen Florenz und Bologna zu besuchen, wo auch die Erinnerung an meinen Vater aufscheint. 30.000 junge deutsche Männer haben dort innerhalb eines halben Jahres ihr Leben verloren. Für mich ist klar: Kriege sind das größte Verbrechen an der Menschheit! Für unsere „Restfamilie“ war es überaus entbehrungsreich, den steilen Bergbauernhof zu halten. Es waren Jahre der Not und Mühsal. Ab dem 12. Lebensjahr musste ich als volle Arbeitskraft mithelfen. Im Klassenheft fanden sich viele Fehltage. 1951 heiratete meine um 6 Jahre ältere Schwester und ich war damit „über Nacht“ „weichender Erbe“. Nach Beendigung der 8. Klasse Volksschule 1952 arbeitet ich mehrere Jahre am elterlichen Hof mit.
„Bildung als Chance“!
Das galt auch für mein Leben: Zu Ostern 1955 besuchte uns ein Cousin und sagte zu mir: „Du musst etwas aus deinem Leben machen. Melde dich gleich an der Landesackerbauschule Grottenhof an. Dort beginnt nach Ostern ein neuer Jahrgang“. Ich folgte diesem Rat und kam Ende April etwas verspätet in die Schule in Hafendorf, wo der erste Jahrgang untergebracht war. Das Lernen viel mir leicht und so konnte ich im März 1956 als Klassenbester abschließen. Wieder war es mein Cousin, der mich ermunterte: „Die Höhere Lehranstalt in Seefeld übersiedelt in die Steiermark. Melde dich doch dort an.“ Gesagt – getan. Im September 1956 wurde ich zur Aufnahmsprüfung nach Seefeld eingeladen. Am 4. November 1956 war es so weit: Über Bauschutt-Hügel zogen wir in die neue Schule in Raumberg ein! Es war ein trüber, nebelverhangener Tag. Trüb war auch die Stimmung: An dem Tag wurde im Radio gemeldet, dass die Freiheitsbewegung in Ungarn durch sowjetische Panzer niedergewalzt wurde. So wie für viele andere Bauernkinder war Raumberg DIE CHANCE für mein Leben! Im Juni 1960 konnte ich als Jahrgangsbester mit der Matura Raumberg verlassen. Das Studium an der „BOKU“ war mein eigener Entschluss. Damit taten sich völlig neue Möglichkeiten auf. Raumberger Kollegen aus höheren Jahrgängen ermutigten mich, in der „Österreichischen Hochschülerschaft“ und in der Katholischen Hochschuljugend aktiv zu werden. Neben dem Fachstudium bot mir gerade dieses Engagement viel neue Kontakte und Perspektiven: Als Vertreter Österreichs in der „International Association of Agricultural Students“ fuhr ich zu Kongressen in Berlin, Montpellier, Paris und Brüssel. Als Verantwortlicher in der Katholischen Hochschuljugend konnte ich viele Persönlichkeiten kennenlernen und erhielt durch die „Katholische Soziallehre“ meine gesellschaftspolitische Prägung. Das Berufsleben ging rasant vor sich: Fachlehrer, Generalsekretär der Katholischen Aktion, Direktor der Fachschule Stainz, Direktor des Steirischen Bauernbundes, Abgeordneter zum Nationalrat, Landesrat, Landwirtschaftsminister…
Die Entwicklung der „ökosozialen Idee“
Erste Impulse erhielt ich durch den „Ersten Bericht des Club of Rome“ über „Die Grenzen des Wachstums“ 1972; durch die Aktion „Lebenschancen im ländlichen Raum“, die ich als Direktor des Österreichischen Bauernbundes ab 1980 organisierte; vor allem aber durch die Erfahrungen als Umweltlandesrat der Steiermärkischen Landesregierung von 1985 bis 1987. Bei meinem Antritt als Landwirtschaftsminister im Jänner 1987 befand sich die österreichische Agrarpolitik wegen der jahrelangen gegenseitigen Blockade in einer tiefen Krise. Nichts ging mehr. Mir war klar: Wir brauchen einen völligen Neustart. Bei meiner Antrittsrede am 21. Jänner 1987 formulierte ich erstmals dass „strategische Dreieck“ der Ökosozialen Agrarpolitik: „Wirtschaftlich leistungsfähig – ökologisch verantwortungsvoll – sozial orientiert“. Nach meiner Wahl zum Bundesparteiobmann im Mai 1989 wurde daraus die „Ökosoziale Marktwirtschaft“; beschlossen beim Zukunftskongress im November 1989. Auf Initiative von Alois Mock und Andreas Khol als Präsident und Generalsekretär der „Europäischen Demokratischen Union“ wurde die Ökosoziale Marktwirtschaft im September 1991 bei einer Parteiführerkonferenz in Paris als gemeinsames Leitbild beschlossen. Nach meinem Ausscheiden aus der Bundesregierung im Oktober 1991 konnte ich gemeinsam mit Ernst Scheiber das „Ökosoziale Forum“ begründen. Damit hatten wir unabhängig von der Tagespolitik eine geistige Plattform, um die ökosoziale Idee weiterzuentwickeln und an neue Herausforderungen anzupassen. Ein besonderer Glücksfall war die Begegnung mit Professor Dr. Franz Radermacher – Mathematiker und Ökonom – der mit seinem Forschungsinstitut in Ulm viele geistige Impulse einbrachte. So kam es zur Gründung des „Ökosozialen Forum Europa“ und zur Initiative: „Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“. Damit gelangte unsere Idee auf die globale Ebene. Als UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon ab 2012 die neuen Entwicklungsziele der UNO vorbereitete, konnten wir durch den Österreichischen Botschafter bei der UNO unsere Ideen in diesen Prozess einbringen. Als die „Sustainable Development Goals“ im September 2015 von der UNO-Generalversammlung beschlossen und dann auch noch der „Klimavertrag von Paris“ im Dezember 2015 verabschiedet wurde, dachten wir: „Nun ist es geschafft!“ Aber bereits im Jänner 2016 wurde durch den neuen US-Präsidenten der „Retourgang“ eingeschaltet.
Die ökosoziale Idee als Chance für eine zukunftsfähige und friedensfähige Zivilisation!
Die immer mehr auseinanderdriftende Gesellschaft schreit geradezu nach Konzepten, die zusammenführen.
Daher ist die Ökosoziale Marktwirtschaft als Konzept der Balance höchst aktuell!
Worum geht es konkret?
„Wohlstand für alle!“ Das war das Ziel der Sozialen Marktwirtschaft vor 70 Jahren.
Wohlstand setzt eine leistungsfähige Marktwirtschaft voraus.
Vor gut 30 Jahren kam ein zusätzliches Ziel dazu: Nachhaltigkeit und Entwicklung! Das war das Anliegen der „Rio-Konferenz“ der UNO 1992.
Die Erfahrung zeigt: Wir kommen nur voran, wenn sich Umwelt- und Klimaschutz wirtschaftlich rechnen.
Das ist der Wesenskern von Ökosozialer Marktwirtschaft!
Sie beruht auf 3 Säulen:
- Leistungsfähige Marktwirtschaft: Dafür brauchen wir die bestmögliche Bildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung. Unsere „Bodenschätze“ sind das Wissen, Können und der Fleiß der Menschen. Leistung und Unternehmergeist müssen belohnt werden. Daher brauchen wir ein leistungs- und eigentumsfreundliches Steuer- und Rechtssystem.
- Soziale Solidarität: Ein gesellschaftlicher Zusammenhalt und ein friedliches Miteinander erfordern gerechte Lebensbedingungen für ALLE! Das gilt für die Gesundheits-, Sozial- und Pensionssysteme. Das gilt aber auch für eine vernünftige Balance bei Einkommen und Vermögen.
- Weltweit praktizierter Umwelt- und Klimaschutz: „Lasst den Markt Umwelt und Klima schützen!“
Daher müssen wir dem Markt die RICHTIGEN Signale geben:
+ Ökologische Kostenwahrheit: Umwelt und Klima haben einen Preis.
+ Striktes Verursacherprinzip: Wer Umwelt und Klima belastet, muss dafür bezahlen.
+ Intelligenter Umbau bei Steuern, Abgaben und Förderungen. Daher war die Ökosoziale Steuerreform so wichtig! - Ökosoziale Marktwirtschaft braucht ein ethisches Fundament: Menschen brauchen einen ethischen Kompass für ihr Handeln. Über Jahrzehnte wurden einseitig der Egoismus und ausschließlich die EIGENE Freiheit gepflegt. Dadurch verliert die Gesellschaft den Zusammenhalt. Für alle Kulturen gilt die „Goldene Regel“: „Was du nicht willst, dass man dir tu‘, das füg‘ auch keinem andern zu!“
Gefährliche Ideologien
Im Moment dominieren jene Ideologien, die immer wieder Unheil über die Menschheit bringen:
Kapitalismus mit egoistischem Profitstreben
Kommunismus mit Unfreiheit und Gewalt
Nationalismus mit Feindschaft und Krieg
Islamismus mit Fanatismus und Hass.
Alle vier Irrwege peinigen uns nun gleichzeitig!
Aktuelle Herausforderungen
Zum Abschluss möchte ich ZWEI große Herausforderungen ansprechen:
1. Die drohende Klimakatastrophe
Dieses Thema wird euer Leben bestimmen.
In wenigen Jahrzehnten wurden durch die massenhafte Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas an die 2.000 Milliarden Tonnen CO2 ZUSÄTZLICH zum natürlichen Kreislauf in die Atmosphäre gepulvert! Durch hunderttausende von Jahren pendelte der Gehalt von CO2 in der Atmosphäre zwischen 200 und 300 ppm. Nun ist er bei 420!! Das ist ein Schock für das Natursystem. Daher die sich häufenden Katastrophen.
Die gute Nachricht: Wir können das Klima retten:
+ Durch Realisierung des UNO-Ziels: Ab 2050 Klimaneutralität!
+ Durch eine klimapositive Land- und Forstwirtschaft: Humusaufbau, vitale Wälder.
+ Durch Technologien, die CO2 aus der Atmosphäre „zurückholen“.
Die wichtigste Triebfeder ist ein weltweit wirksamer CO2-Preis!
2. Krieg oder Frieden?
Leider ist diese Frage wieder hoch aktuell.
Als Ökosoziales Forum haben wir vor 20 Jahren das Konzept für eine weltweite Friedensstrategie entwickelt: Den Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft: Weltweite Partnerschaft durch FAIRE Entwicklungschancen für ALLE – finanziert durch eine kleine Abgabe auf spekulative Finanztransfers; Faire Wirtschaftsbeziehungen durch
- weltweit verbindliche Sozial- und Umweltstandards;
- faire Finanz- und Steuersysteme;
- Verbot von Spekulation vor allem bei Nahrung und Energie.
Unser Ziel vor 20 Jahren war, dass für Entwicklungszusammenarbeit gleich viel Geld zur Verfügung stehen sollte wie für Rüstung und Militär.
Heute lautet das Verhältnis 200 zu 2.400!!!
Hoffentlich erinnern sich in einigen Jahren Verantwortliche wieder an dieses Konzept.
Für den Moment gilt: Verbrecherische, menschenverachtende Aggression darf sich nicht durchsetzen. Die „freie Welt“ muss solidarisch zusammenstehen. Die UNO muss als Friedensmacht wieder handlungsfähig werden. Der Aggressor darf kein Vetorecht haben.
Welche Zukunft erwartet euch?
Liebe Jugend!
Ihr werdet wahrscheinlich das Jahr 2100 erleben!
Welche Welt werdet ihr vorfinden?
Welche Welt werdet ihr gestalten?
Wird es gelingen, dass KI den Menschen dient? Oder wird sie missbraucht?
„Ihr seid die Lösung!“
Mit diesen Worten wandte sich vor wenigen Tagen ein Journalist in einem Kommentar an die Maturantinnen und Maturanten:
„Geschichte lässt sich gestalten – durch Entscheidungen, Worte und Taten von Menschen. Verzagt nicht an den derzeitigen Problemen, glaubt daran, Teil der Lösung zu sein. Setzt euern Stift an die Geschichte an, schreibt sie, verändert sie, verbessert sie!“
Das ist ein Wunsch, den ich euch gern mitgebe!