Zur Problemstellung
Im Vorfeld des Hackathons wurden im Rahmen eines Stakeholder-Dialogs von Expert:innen zentrale Problemstellungen zu den aktuellen Herausforderungen des österreichischen und europäischen Ernährungssystems identifiziert. Unter den Beteiligten waren Johannes Schmidt (Landwirtschaftskammer Österreich), Mathias Janko (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft), Corinna Gruber (LK und AgrarScout), Sigrid Steinkellner (Universität für Bodenkultur Wien), Wilhelm Windisch, Katharina Fister (AGES), Charlotte Eberl (AGRANA) und Martin Wagner (FFoQSI).
Diese Fragestellungen bildeten die Grundlage für den Hackathon:
- Wie könnte ein evidenzbasiertes Bildungsmodul zur bewussten Ernährung für eine ausgewählte Zielgruppe aussehen?
- Wie kann das österreichische Agrarsystem eine ideale Ernährung für die gesamte Bevölkerung sicherstellen?
Die Teams
Team Blau:
Draxler Nikolaus, Seiringer Christina, Steffens Jonathan, Weinberger Theresa
Team Gelb:
Kuborn Marie, Vorndran Anton
Team Grün (GEWINNER:INNEN):
Antretter Johanna, Kehrer Nikolaus, Pintaritsch Ingrid, Schmeisser Florian
Team Rot:
Höfler Katharina, Knogler Florian, Riedl Paul, Spitzauer Johannes
Studierende entwickeln bei einem Hackathon konkrete Lösungsansätze
Wir leben in einer Zeit, in der unser Ernährungssystem stärker, denn je auf dem Prüfstand steht und eine Einnordung notwendig ist. Klimakrise, Biodiversitätsverlust, geopolitische Instabilität und soziale Ungleichheiten verdeutlichen: Es braucht ein grundlegendes Umdenken, wie wir Lebensmittel produzieren, verarbeiten, verteilen und konsumieren. Gleichzeitig eröffnen diese Herausforderungen auch Chancen – für Innovation, für Zusammenarbeit, für Veränderung. Nachhaltigkeit muss dabei im Zentrum stehen.
Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Ökosoziale Forum am 8. Mai 2025 im Rahmen des Wissenschaftskommunikationsprojekts „fragen säen. antworten ernten.“ einen interdisziplinären Hackathon für Studierende. Ziel war es, entlang der realen Herausforderungen des österreichischen und europäischen Ernährungssystems in kurzer Zeit praxisnahe Lösungsansätze zu erarbeiten – getragen von wissenschaftlicher Neugier, interdisziplinärer Zusammenarbeit und einem klaren Zukunftsblick.
Die teilnehmenden Studierenden zeigten in ihren Präsentationen eindrucksvoll, wie vielfältig Lösungswege sein können, wenn Expertise aus verschiedenen Disziplinen zusammentrifft: Drei Gruppen widmeten sich der Frage, wie die österreichische Bevölkerung auf Basis der verfügbaren Agrarflächen ausreichend und möglichst nachhaltig versorgt werden kann. Trotz unterschiedlicher Zugänge war ihre zentrale Botschaft eindeutig: Bereits heute besteht Spielraum, um sowohl Ernährungssicherheit zu gewährleisten als auch ökologische Maßnahmen zu ergreifen. Wie sich dieser Handlungsspielraum unter dem Einfluss des Klimawandels künftig verändert, ist schwer prognostizierbar und blieb offen – doch die Relevanz der Fragestellung wurde eindrucksvoll unterstrichen. Die vierte Gruppe legte den Fokus auf eine andere Stellschraube im Ernährungssystem: Meinungsbildner:innen in der Gemeinschaftsverpflegung. Ihr Ansatz: Mit geringem Aufwand lässt sich durch gezielte Information und Bewusstseinsbildung ein erheblicher Beitrag zu gesünderer und nachhaltigerer Ernährung leisten. Eine Perspektive, die Mut macht – denn Veränderung muss nicht immer teuer oder komplex sein. Manchmal genügt ein neuer Blick auf bestehende Strukturen.
Vier Gruppen – vier Perspektiven – ein gemeinsames Ziel
Gruppe Blau untersuchte, was unter einer „idealen Ernährung“ zu verstehen ist – basierend auf Daten von Statistik Austria, AGES und Roll AMA. Ausgehend von der Ernährungspyramide verglich die Gruppe den Soll-Zustand einer gesundheits- und umweltbewussten Ernährung mit der aktuellen Realität. Die Analyse zeigte deutlich: In mehreren Bereichen – etwa bei Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten oder Fisch – produziert Österreich zu wenig, um eine ideale Ernährung vollständig abzudecken. Strukturelle Rahmenbedingungen wie Bodenqualität oder Förderpolitik warfen zudem die Frage auf, wie frei die Gesellschaft tatsächlich in ihren Ernährungsmöglichkeiten ist.
Gruppe Grün stellte gesellschaftspolitische Aspekte in den Mittelpunkt. Sie plädierte für ein erweitertes Verständnis idealer Ernährung – gesund, bewusst, regional, saisonal und vielfältig. Neben der Reduktion tierischer Produkte thematisierte sie auch den kulturellen Wandel, etwa die abnehmende Bereitschaft, Zeit in die Zubereitung von Mahlzeiten zu investieren. Die Gruppe forderte ein stärkeres Engagement von Bildung, Politik und Werbung: Schulen müssten stärker eingebunden, Landwirtschaftsschulen attraktiver gemacht und Kinder durch Werbebeschränkungen besser geschützt werden. Konkrete politische Ideen wie eine Zuckersteuer oder verpflichtende Herkunftskennzeichnungen in der Gastronomie wurden ebenfalls kritisch diskutiert. Es wurden auch mögliche Handlungsoptionen thematisiert, die im Rahmen notwendiger Anpassungen an die Folgen des Klimawandels entstehen können. Zwar bringt der Klimawandel gravierende Herausforderungen mit sich, doch durch eine enge Zusammenarbeit von Forschung, Praxis und Politik lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen auch neue Wege finden, um auf die veränderten Bedingungen zu reagieren – etwa durch die Erprobung neuer Anbaukulturen in Österreich. Dabei steht jedoch klar im Vordergrund, dass es sich hierbei um Reaktionen auf eine Krisensituation handelt, nicht um wünschenswerte Entwicklungen.
Gruppe Gelb fokussierte sich auf die Selbstversorgungsfähigkeit Österreichs und betrachtete die landwirtschaftliche Produktion unter dem Blickwinkel der drei Hauptnährstoffe: Proteine, Kohlenhydrate und Fette. Zentrale Erkenntnis: Grundsätzlich wäre ausreichend Nahrung für die österreichische Bevölkerung vorhanden – jedoch bestehen unterschiedliche Nutzungspfade, wie Energie und stoffliche Nutzung oder die Fütterung von Tieren. Die Gruppe entwickelte Szenarien zur Reduktion der Viehzucht und überlegte, wie landwirtschaftliche Flächen für den direkten Anbau von Nahrungsmitteln für den menschlichen Verzehr gewonnen werden könnten. Der Klimawandel könnte Acker und Gemüsebau in neue Gebiete vorstoßen lassen. Sie diskutierte Zielkonflikte zwischen nationaler Versorgung und Exportinteressen und betonte, dass eine Kombination aus pflanzlichen Eiweißträgern und tierischen Produkten von Grünlandtieren eine ausreichende Versorgung ermöglichen könnte – ohne Nahrungskonkurrenz durch Tiere, die auf Ackerfutter angewiesen sind.
Gruppe Rot – mit einem anderen Zugang – rückte die Rolle von Einkäufer:innen in der Gemeinschaftsverpflegung ins Zentrum. Ihre These: Durch gezielte Information und Weiterbildung dieser Schlüsselakteure lässt sich mit geringem Aufwand viel erreichen. Die Gruppe entwickelte ein evidenzbasiertes Weiterbildungsmodul, das Wissen zu Nährstoffzusammensetzung, Nachhaltigkeit und den besonderen Bedürfnissen vulnerabler Gruppen vermittelt. Ziel war es, digitale Tools und praxisorientierte Workshops unterstützend einzusetzen, um das vermittelte Wissen niedrigschwellig aufzubereiten und dessen Umsetzung in der Praxis zu fördern. Zudem wurde erörtert, wie eine langfristige Finanzierung und institutionelle Verankerung entsprechender Angebote sichergestellt werden kann.
Eine Botschaft, die bleibt
Der Hackathon hat eindrucksvoll gezeigt: Junge Menschen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie denken über Fachgrenzen oder in diesem Fall Tellerrand hinaus und entwickeln gemeinsam konkrete Ideen, wie Ernährungssysteme zukunftsfähig gestaltet werden können. Insgesamt machten die Präsentationen deutlich, wie groß das Potenzial für Veränderung ist – sei es durch neue Produktionsstrategien, politische Maßnahmen oder gezielte Bewusstseinsbildung. Drei Gruppen zeigten, dass Österreich bereits heute über das Potenzial verfügt, seine Bevölkerung auf nachhaltige Weise zu ernähren. Eine vierte Gruppe bewies, wie durch die gezielte Ansprache zentraler Akteur:innen kurzfristig wirksame Veränderungen angestoßen werden können.
Die zentrale Erkenntnis des Hackathons lässt sich klar formulieren: In Österreich besteht die Möglichkeit, unsere Ernährung im Einklang mit den ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten zu sichern – wenn wir ökologisch klug, sozial gerecht und wirtschaftlich tragfähig handeln.