Hühner

Die Skepsis gegenüber dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA betrifft ist weit verbreitet. Werden künftig Chlorhendl auf unseren Tellern landen? Oder wird das neue Europäische Parlament das verhindern? denk.stoff bat Greenpeace-Chef Alexander Egit und die Abgeordnete Elisabeth Köstinger um ihre Einschätzungen.


Warum ist gerade das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA dermaßen im Kreuzfeuer der Kritik? Ist freier Handel nicht grundsätzlich positiv zu bewerten?

Elisabeth Köstinger: Handel ist für die Europäische Union und für Österreich entscheidend. In Österreich werden sechs von zehn Euro über den Export erwirtschaftet. Daher besteht natürlich großes Interesse, Exportmärkte zu erschließen. Ich denke, die Kritik rund um das Freihandelsabkommen beruht vor allem auch auf den unterschiedlichen Prinzipien, die auf beiden Seiten des Atlantiks vorherrschen. Die USA verfolgen dabei einen risikobasierten Ansatz, sowohl in der Produktion als auch beim In-Verkehr-Bringen von Produkten. Der Marktzugang ist dort relativ einfach. Untersuchungen und Kontrollen setzen erst im Schadensfall an, dann werden die Rechtsanwälte aktiv. Im Unterschied dazu setzt die europäische Seite auf das Vorsorgeprinzip. Bei uns wird zunächst einmal zertifiziert, kontrolliert und genehmigt. Erst dann kann ein Produkt überhaupt auf den Markt gebracht werden. Diese grundlegenden Prinzipien werden auch im Lebensmittelbereich angewendet. Daraus ergeben sich die unterschiedlichen Befürchtungen auf beiden Seiten. Die Kritik ist auch deshalb sehr heftig, weil es sich bei den Verhandlungspartnern um zwei hoch entwickelte Industriestandorte handelt.

Was spricht dagegen, alle Importe zu erlauben und einfach die Konsumentinnen und Konsumenten an der Supermarktkasse entscheiden zu lassen?

Elisabeth Köstinger: Generell gibt es in Europa sehr hohe Standards im Lebensmittelbereich. Das ist ein Grundsatz bei uns. Aber es fehlt derzeit an einer klaren Kennzeichnung, vor allem auch die Herkunft der Produkte betrifft. Hier braucht es klare Spielregeln, die aber gegenwärtig nicht vorhanden sind.


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»Das Europäische Parlament nimmt die Sorgen und Ängste der Menschen ernst.«


Elisabeth Köstinger, Abgeordnete zum Europäischen Parlament
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»Die Österreicher wollen nicht zwischen Biohendln und Chlorhendln wählen – sie wollen einfach keine Chlorhendl.«


Alexander Egit, Geschäftsführer Greenpeace in Zentral- und Osteuropa

Greenpeace hat sich vehement gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA positioniert. Welche Regelungen sind für Sie das größte Problem?

Alexander Egit: Ein zentraler Punkt unserer Kritik ist natürlich die mangelnde Transparenz. Die Verhandlungen werden hinter verschlossenen Türen geführt, Industrievertreter sind beteiligt, die Öffentlichkeit bleibt jedoch außen vor. Das ist mit demokratiepolitischen Standards nicht vereinbar. Der zweite Punkt ist das Thema der unterschiedlichen Standards. Es besteht die Absicht, die gegenseitige Anerkennung von Standards zu ermöglichen.

Das ist mit hohen Standards völlig unvereinbar. Wenn man die Standards des anderen akzeptiert, dann akzeptiert man automatisch die niedrigen Standards. Für uns ist es entscheidend, dass die höheren Standards gelten. Das Problem ist jedoch, dass die USA nicht bereit sind, auf die höheren Standards der EU einzugehen – wenn die höheren Standards Bedingung sind, wird es kein Freihandelsabkommen geben.

Die Kennzeichnung ist deswegen keine Option, weil es erstens keine diesbezüglich umfassende und wirksame Herkunfts- und Lebensmittelkennzeichnung in Europa gibt. Und zweites, weil diese von den USA nicht akzeptiert werden würde. Die USA haben schon mehrfach klargemacht, dass sie nicht bereit sind, sich hier durch Herkunftsbezeichnungen diskriminieren zu lassen.

Man muss auch ganz klar sagen, dass die österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten nicht zwischen Biohendln und Chlorhendln wählen wollen – sie wollen einfach keine Chlorhendl. Und nicht nur, weil sie sie nicht essen wollen, sondern weil Chlorhendl untrennbar mit Massentierhaltung verknüpft sind. Diese führt ja praktisch erst dazu, dass der Chloreinsatz notwendig wird, damit die Keime und Erreger ausgeschaltet werden. Die Österreicher wollen sich auch nicht zwischen Pestizidäpfel und Bioäpfeln und nicht zwischen Gen- oder Bioparadeisern entscheiden. Das sind gravierende Barrieren auf dem Weg zu einem Freihandelsabkommen.

Ein weiterer Punkt ist der Investitionsschutz. Greenpeace wehrt sich vehement gegen die Möglichkeit, dass Massentierhaltungsbetriebe von US-amerikanischem Ausmaß aufgrund von privaten Schiedssprüchen – unter Umgehung von ordentlichen Gerichten in Österreich – durchgesetzt werden können. Private Richter sollen – das ist unsere Überzeugung – solche Dinge nicht entscheiden dürfen.

Gibt es auch Punkte im derzeitigen Vorschlag, denen Sie zustimmen?

Alexander Egit: Man weiß sehr wenig über den konkreten Verhandlungsstand des Abkommens. Nichts von dem, was auf dem Tisch liegt, kriegt die Zustimmung von Greenpeace. Ich halte das im Moment für einen Deal, der im Wesentlichen zwischen Konzerninteressen beschlossen werden soll. Und der mit der Bevölkerung überhaupt nichts zu tun hat, mit den Bauern und Bäuerinnen im Übrigen auch nicht – mit den österreichischen schon gar nicht. Sie sind nicht eingebunden. Die KonsumentInnen sind nicht beteiligt. Umweltorganisationen sind nicht beteiligt. Das geht so überhaupt nicht. Grundsätzlich Handel zu ermöglichen, ja. Aber das muss dann unter fairen Bedingungen stattfinden. Und die kann ich im Moment nicht einmal ansatzweise erkennen.

Das EU-Parlament gewinnt seit Jahren immer mehr an Bedeutung. Bei der Saatgut-Verordnung hat es seine Macht bewiesen. Wird sich das Parlament bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen auch so ins Zeug legen?

Elisabeth Köstinger: Absolut. Gerade die von Alexander Egit angesprochene Transparenz wird auch vom Europaparlament sehr stark eingefordert. Das steht außer Frage. Man muss aber auch der Fairness halber dazusagen, dass die 28 Regierungen der Mitgliedsstaaten der EU-Kommission ein Verhandlungsmandat für das Freihandelsabkommen mit den USA erteilt haben. Das hat sich nicht jemand im bösen Brüssel ausgedacht, um die Menschen zu ärgern. Die 28 Staaten haben gesagt, die Kommission soll das ausverhandeln. Und uns – den Abgeordneten im Europäischen Parlament – ist diese Beteiligung auch sehr wichtig. Und in den letzten Wochen gab es Schritte von der Kommission, um der Forderung nach Transparenz Folge zu leisten.

Im Stakeholderprozess werden nach den Verhandlungsrunden – es hat bis jetzt vier gegeben – Interessensgruppen von Wirtschaft, Industrie, aber auch Zivilgesellschaft und NGOs über den Stand der Verhandlungen informiert werden. Ebenso die Europaabgeordneten; nach jeder Verhandlungsrunde geben die Chefverhandler Einblick über den Verhandlungsfortschritt. Bisher gibt es da noch nicht viel zu sagen, weil in den ersten Verhandlungsrunden in erster Linie der Marktzugang und die technischen Details verhandelt wurden.

Beim Freihandelsabkommen fällt dem Europaparlament eine entscheidende Rolle zu. Wir sitzen zwar nicht am Verhandlungstisch, aber wenn das Abkommen schlussendlich ausverhandelt ist, dann werden die Europaabgeordneten darüber entscheiden, ob sie dem Verhandlungsergebnis zustimmen oder es ablehnen. Und die Bewertung des Ergebnisses durch die Abgeordneten wird absolut transparent sein, weil die Abstimmung im Europaparlament namentlich erfolgt. Gerade das Europaparlament hat hier eine entscheidende Rolle.

Die Saatgut-Verordnung war der beste Beweis dafür, dass das Europaparlament mittlerweile einen sehr großen Einfluss im Gefüge der drei europäischen Institutionen hat. Mein Änderungsantrag vom Dezember und der Vorschlag, die Saatgutverordnung an die Kommission zurückzuweisen, war ausschlaggebend dafür, dass die Vorlage abgelehnt wurde. Die breite Ablehnung der Saatgut-Verordnung hat gezeigt, dass sich das Europäische Parlament als Bürgerkammer versteht, das die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nimmt.

Was muss an der Saatgut-Verordnung geändert werden, damit die Abgeordneten der neuen Vorlage zustimmen?

Elisabeth Köstinger: Der Vorschlag der Kommission war viel zu detailliert, hätte zu viel reguliert und hohe Kosten verursacht. Wir EuropaparlamentarierInnen haben mit einer Resolution auf die Punkte hingewiesen, die geändert werden müssen. Österreich hat ein liberales Saatgutrecht. Dieser Ansatz sollte sich auch auf europäischer Ebene wiederfinden. Die Vielfalt muss gewahrt bleiben. Die klein- und mittelständischen Unternehmen, die in Konkurrenz zu den multinationalen Konzernen stehen, sollen weiterhin ein starker Faktor bleiben können.

Das neue Europaparlament muss die Kommission bestätigen. Die Zustimmung zu einem Anwärter für das Amt des Gesundheitskommissars ist unmittelbar mit der Frage verknüpft, wie er oder sie die Saatgutverordnung und -regulierung gestalten will.

Herr Egit, Sie haben jetzt die Chance, an die Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger einen Wunsch zu äußern: Was wünschen Sie sich vom neuen EU-Parlament?

Alexander Egit: Ich sehe die Rolle des EU-Parlaments im Großen und Ganzen sehr positiv. Ich teile das auch, was Elisabeth Köstinger gesagt hat. Es gibt sehr viele Materien – gerade auch im Umweltbereich –, wo das Europaparlament wirklich eine herausragende Rolle gespielt hat. Und ich bin weit davon entfernt, alles was in Europa passiert zu kritisieren. Es ist viel Gutes passiert. Entscheidend sind aber bei allen Dingen die Rahmensetzungen. Das wäre auch meine Bitte. Wenn es um eine neue EU-Kommission geht, ist es ganz wichtig, von Anfang an einen klaren Auftrag zu geben. Ein Kandidat, der nicht bereit ist, für Transparenz und für entsprechende Partizipation zu sorgen, sollte nicht Kommissar werden. Jemand der die gegenseitige Anerkennung von Standards im Freihandelsabkommen nicht a priori ablehnt, der kommt meiner Meinung nach nicht in Frage. Und das Gleiche gilt auch für den Investitionsschutz.

Wenn es schon unbedingt einen Investitionsschutz braucht, dann bin ich der Meinung, dass man einen internationalen Investitionsschutzgerichtshof – vielleicht sogar mit Sitz in Wien – schafft. Aber nicht nur zum Schutz von Investitionen, sondern auch zum Schutz vor Investitionen, sodass auch Betroffene – also Menschen, die von bestimmten Investitionen betroffen sind – die Möglichkeit haben, ein ordentliches Gericht anzurufen. Solche Rahmensetzungen einer Kommission von Anfang an mitzugeben, das würde ich mir vom neuen EU-Parlament wünschen