Die deutsche Energiewende steht immer wieder in der Kritik. Über die Kosten, den deutschen Atom-Ausstieg und notwendige begleitende Maßnahmen sprach denk.stoff mit der Wirtschaftsforscherin Claudia Kemfert.

Welche Lehren ziehen Sie aus der deutschen Energiewende?

Claudia Kemfert: Die Energiewende ist sehr wichtig, der Umstieg weg von Kohle und Atom hin zu erneuerbaren Energien ist machbar und ökonomisch wie ökologisch sinnvoll. Allerdings gibt es auch Stolpersteine. Es genügt nicht, aus der Atomenergie auszusteigen und die erneuerbaren Energien zu fördern. Wenn man nicht gleichzeitig mit weiteren klimapolitischen Instrumenten wie höheren CO2 -Preisen gegensteuert, droht die Gefahr, dass noch mehr Kohlekraftwerke gebaut werden, wie es in Deutschland derzeit der Fall ist. Zudem sollte man verstärkt auf das Energiesparen setzen, die energetische Gebäudesanierung voranbringen und im Bereich Mobilität konsequent auf Alternativen zu Öl setzen. Da sind wir erst am Anfang. Auch Österreich kann derartige Potentiale nutzen.

Deutschland zieht sich aus der Atomenergie zurück. Wodurch wird diese Strommenge ersetzt? Wie vorausschauend ist diese Strategie?

Claudia Kemfert: Die restlichen Atomkraftwerke, die derzeit noch am Netz sind, können problemlos in den kommenden Jahren vom Netz genommen werden. Derzeit hat Deutschland einen massiven Stromangebotsüberschuss. Der Ersatz der Atomkraft erfolgt im Wesentlichen aus erneuerbaren Energien, Kraft-Wärme-Kopplung und einem auf Dezentralität ausgerichteten Stromsystem. Diese Strategie ist sehr vorausschauend, da wir uns ohnehin von fossilen Energien verabschieden und verstärkt auf innovative Energieformen und das Energiesparen setzen müssen. Die Industrie beklagt die hohen Energiepreise in Europa.

Haben mittlerweile die Energiekosten die Lohn-Stückkosten als Hauptindikator für internationale Konkurrenzfähigkeit abgelöst?

Claudia Kemfert: Nein! Die Lohnkosten sind sehr viel höher! Der Industrie geht es blendend. Sie profitiert von der Energiewende durch neue Aufträge, zudem sind die Strom-Börsenpreise so niedrig wie nie. Die Aluminiumbranche hat kürzlich öffentlich zugegeben, dass sie Profiteur der Energiewende ist. Genauso geht es anderen Branchen. Das Lamentieren über hohe Energiekosten hat weniger mit Strompreisen, als mit immer weiter steigenden Preisen für Öl und Gas zu tun. Diese schaffen aber übrigens auch mehr Anreize für Innovation und das Energiesparen. Die beste Energie ist die, die ich nicht brauche.

Was darf die Kilowattstunde Energieeinsparung kosten, um noch ökonomisch sinnvoll zu sein?

Claudia Kemfert: Die Kosten für Energieeinsparung sind in Wahrheit Investitionen, die Wertschöpfung und Arbeitsplätze hervorbringen. Für jeden Einzelnen lohnen sich diese Investitionen sowieso, da Energiekosten eingespart werden, auch wenn Amortisationszeiten variieren können. Die Preise für fossile Energien werden auf jeden Fall steigen, sodass jede Investition, die den Verbrauch fossiler Energien vermindert, gut ausgegebenes Geld ist.

Gretchenfrage: Einspeisetarife oder Investitionsförderung?

Claudia Kemfert: Eindeutig Einspeisetarife. Sie schaffen mehr Planungssicherheit für Investoren, kontrollieren die Kosten, sorgen für Innovationen und haben einen entscheidenden Vorteil: Sie müssen nicht über den Staatshaushalt bewilligt werden. Im Zuge klammer öffentlicher Kassen ist das ein entscheidender Vorteil. Wenn man in Deutschland die Energiewende nur über die Investitionsförderung erreichen wollte, sie würde scheitern – an fehlender Förderung durch Sparmaßnahmen im Finanzhaushalt.