Ratte

Die Natur hat einen Wert, auch für die Wirtschaft. Ob dieser Wert gemessen werden soll und wenn ja, wie, ist umstritten. Über die Fragen, warum bei Naturbewertungen der Mensch das Maß aller Dinge ist, Ratten einen hohen ökologischen, aber einen niedrigen ökonomischen Wert haben und wozu monetäre Bewertungen dienen, sprach denk.stoff mit dem Umwelt-Ökonomen Franz Sinabell.

Welchen Wert hat die Natur bzw. Leistungen der Natur?
Franz Sinabell: Die Ökonomie beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie Ressourcen am besten für die Menschen nutzbar gemacht werden können. Im Mittelpunkt stehen also der Mensch und sein Nutzen. Aus diesem anthropozentrischen Blickwinkel betrachtet ist es möglich, einen „ökonomischen Gesamtwert“ zu bestimmen. Es wird also nicht „ein Wert an sich“ identifiziert, sondern es wird ein klar definiertes ökonomisches Konzept angewandt. Das Ziel ist, gute Entscheidungen zu ermöglichen, sei es für einzelne Personen oder für ganze Gesellschaften. Aus diesem Blickwinkel betrachtet hat die Natur einen erheblichen Wert, da sie unsere Lebensgrundlage ist. Ohne sie bräuchte sich der Mensch keine Gedanken über den Wert der Natur zu machen, da es den Menschen gar nicht gäbe.

Wie kann dieser ökonomische Wert gemessen werden?
Franz Sinabell: Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Wert zu messen. Es kann z. B. berechnet werden, wie viel es kostet, Bäume händisch zu bestäuben, wie dies in China in manchen Gegenden nötig ist, um den Wert der Bestäubungsleistung durch Insekten zu messen. Eine andere Möglichkeit ist, aus Grundstückspreisen in der Nähe von Naturschutzgebieten den Wert einer besonderen naturnahen Lage abzuleiten. Man kann auch Leute bitten, ihre Zahlungsbereitschaft für Naturschutzzwecke bekanntzugeben. Es ist auch möglich, aus den Kaufentscheidungen von Verbrauchern Rückschlüsse zu ziehen. Milch, die besonders biodiversitätsfreundlich hergestellt wird, erzielt einen deutlich höheren Preis am Markt. Die Konsumenten drücken damit ihre Wertschätzung aus, denn der Geschmack ist nicht anders.

Kann sich dieser errechnete Wert auch wieder ändern?
Franz Sinabell: Der „ökonomische“ Gesamtwert steigt vor allem dann, wenn es zu Knappheiten kommt. Trotz ihrer wichtigen ökologischen Rolle werden Ratten eher gering geschätzt. Pandabären hingegen werden besonders hoch bewertet. Zudem zeigt sich, dass
reichere Gesellschaften mehr unternehmen, um die Natur zu schützen, als Gesellschaften, in denen die Menschen um das nackte Überleben kämpfen müssen. Ein weiterer Faktor ist unser Wissen über die Zusammenhänge zwischen Natur
und unserem Überleben. Je mehr wir darüber Bescheid wissen, umso deutlicher wird die
Wichtigkeit einer intakten Natur klar.

Welche Vorteile hat eine monetäre Bewertung?
Franz Sinabell: Ein Vorteil ist, dass vielen Menschen erst dadurch klar wird, welchen hohen Wert Dinge haben, die als selbstverständlich betrachtet werden. Ein zweiter Vorteil ist, dass durch die Bewertung die Dinge ins Verhältnis gerückt werden. Wenn der letzte Lebensraum von Berggorillas in einen Wirtschaftswald umgewandelt wird, steigt der Holzertrag. Wie
gering dieser ist im Vergleich zu den ökonomischen Vorteilen, die durch Ökotourismus zu
erzielen wären wird klar, wenn man die Zahlen gegenüberstellt.

Welche Nachteile hat eine monetäre Bewertung?
Franz Sinabell: Der Nachteil der monetären Bewertung ist, dass sie lediglich Geldwerte ausdrückt. Der Verlust der letzten Population von Berggorillas kann zwar in Euro-Beträgen quantifiziert werden, aber damit werden bei Weitem nicht alle Wertdimensionen, die den
Menschen wichtig sind, abgedeckt.

Besteht die Gefahr, dass mit einer ökonomischen Bewertung ein Preisschild für Umweltzerstörung entsteht?
Franz Sinabell: Ich sehe diese Gefahr nicht, sondern ich sehe im Gegenteil eher den Vorteil, dass verschiedene Bereiche, die den Menschen wichtig sind, auf einer Skala verglichen werden können. Zugegeben, es ist nur eine Krücke, aber es ist zumindest der Beitrag, den die Ökonomie anbieten kann. Von einem Preisschild kann man eigentlich nicht reden, da viele Aspekte, um die es geht, gar nicht gehandelt werden können und gar keine Märkte existieren.

Besteht die Gefahr, dass Ökosystemleistungen höher bewertet werden, wenn zahlungskräftigere Akteure Interesse daran haben?
Franz Sinabell: Es ist zu erwarten, dass Ökosystemleistungen höher bewertet werden, wenn diejenigen, die davon profitieren, höheres Einkommen haben. Das würde ich aber nicht als Gefahr betrachten, sondern als Folge des ökonomischen Kalküls.

Halten Sie die ökonomische Bewertung von Ökosystemleistungen, Biodiversität und Natur für sinnvoll?
Franz Sinabell: Da ich Ökonom bin, sehe ich gar keine Alternative. Ein Beispiel: Derzeit wird in der EU darüber diskutiert, Mittel aus der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik dazu zu verwenden, um Risikomanagement-Instrumente in der Landwirtschaft zu finanzieren. Da das Geld begrenzt ist, muss es an anderer Stelle eingespart werden. Wo soll es weggenommen werden? Von der Förderung junger Leute, die einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen? Von der Unterstützung für regionale Arbeitsgruppen, die daran arbeiten, das endogene Potenzial der Regionen zu stärken? Von Programmen zur Steigerung der Qualität von Lebensmitteln? Vom Agrar-Umweltprogramm? Wenn man Klarheit über die Kosten und den Nutzen jedes dieser Anliegen hat, kann man einfach bessere Entscheidungen treffen.