Frau sieht durch Fernglas

Der Arbeitskräftemangel beherrscht die Debatte um den österreichischen Arbeitsmarkt. Ein Blick auf die Demographie zeigt: Wir stehen hier erst am Anfang. Die kommenden Jahre werden durch die Pensionierungswellen der geburtenstarken Jahrgänge eine weitere Verknappung bringen. 

98 Berufe umfasst mittlerweile die bundesweite Mangelberu­feliste. In diesen Berufen erleichtert die Rot-Weiß-Rot-Karte den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, weil der Be­darf an Fachkräften mit inländischen oder EU-Arbeitskräf­ten nicht gedeckt werden kann. Es stehen demnach pro Stel­le weniger als 1,5 Arbeitssuchende zur Verfügung bzw. es gibt erheblichen Bedarf im entsprechenden Berufsfeld. Auf die­ser Mangelberufeliste für das Jahr 2023 finden sich neben den üblichen Verdächtigen wie Ärztin, Krankenpfleger oder Kellnerin auch beispielsweise Fleischer oder Hufschmiedin. In einzelnen Bundesländern gilt dies u. a. auch für Thea­terwissenschafter, Ghostwriterinnen, Schuhverkäufer, Zug­begleiterinnen, Öko-Consulter und Webermeisterinnen. Die klassische Frage besorgter Großeltern an junge Menschen, was sie denn mit dieser Ausbildung oder jenem Studium später einmal machen können, erübrigt sich mittlerweile weitgehend.

Vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt

Innerhalb weniger Jahre hat sich der österreichische Arbeits­markt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Wurden mit dem bundesweiten Corona-Lock­down im März 2020 reihenweise Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekündigt bzw. in Kurzarbeit geschickt, su­chen Betriebe mittlerweile händeringend nach Mitarbeitern. Durch die verstärkte Nachfrage nach (Fach-)Kräften am Ar­beitsmarkt, können Arbeitnehmer zwischen verschiedenen Jobangeboten wählen. Es sind also immer öfter Unterneh­men, die sich bei ihren potenziellen zukünftigen Mitarbeite­rinnen bewerben, und nicht umgekehrt.

Ein Blick auf die demographische Entwicklung lässt vermu­ten, dass sich dieser Trend fortsetzen könnte. Österreich hat im vergangenen Jahr die 9-Millionen-Marke bei der Bevöl­kerung überschritten. 61 Prozent der Menschen im Land sind zwischen 20 und 65 Jahren alt. Der Anteil dieser Grup­pe an der Gesamtbevölkerung hat sich in den vergangenen 30 Jahren kaum verändert. Das wird sich in den nächsten 30 Jahren aber nicht fortschreiben. 2050 – so die Prognose der Statistik Austria – wird der Anteil der 20- bis 65-Jährigen auf knapp 55 Prozent sinken. Die Nachfrage nach Gesundheits­dienstleistungen und Pflege wird steigen. Um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, brauchen wir reihenweise Fach­kräfte. Mittlerweile sind Solarmodule leichter zu bekommen als die Menschen, die diese auf die Dächer montieren. Die WKO geht davon aus, dass – ohne geeignete Maßnahmen – die heimischen Betriebe bis 2040 rund 363.000 zusätzliche Stellen nicht besetzen können. Wo bekommen wir also künf­tig die Arbeitskräfte her? Von unseren deutschen Nachbarn wohl nicht, dort klafft ebenso eine große Lücke. Bis 2035 verliert Deutschland durch den demografischen Wandel sieben Millionen Arbeitskräfte und damit ein Siebtel des Arbeitskräftepotenzials, so die Prognose des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zum Vergleich: 2022 waren in Österreich 4,4 Millionen Menschen nach der Definition der Internationalen Arbeitsorganisati­on (ILO) erwerbstätig; sie haben also in der Referenzwoche mindestens eine (!) Stunde als Unselbständige, Selbständige oder mithelfende Familienangehörige gearbeitet.

Die Arbeitszeit ist eine der künftig möglichen Stellschrau­ben, Angebot und Nachfrage nicht völlig auseinanderlaufen zu lassen. Aktuell arbeitet fast ein Drittel der Beschäftigten im Land Teilzeit; bei den Frauen sogar mehr als die Hälfte. Hier liegt also noch Potenzial. Um es tatsächlich zu heben, werden wir an den Rahmenbedingungen arbeiten müssen: von der Entlohnung und Besteuerung über Mobilität und Gesundheitsvorsorge bis zu den Angeboten an Kinderbe­treuung und Pflegeunterstützung sowie der Aufteilung der unbezahlten Haus- und Carearbeit.

Keine Angst vor Digitalisierung

Eine weitere Stellschraube könnten Digitalisierung, künstli­che Intelligenz und Automatisierung sein. Aber das Poten­zial für den Arbeitsmarkt lässt sich nur schwer abschätzen. Die Prognosen reichen von drohender Massenarbeitslosig­keit bis zum Entstehen zahlreicher neuer Jobs. Eine Spann­breite, die wohl auch die Diskussionen um die Einführung von Dampfmaschine und Fließband begleitet haben. Auch wenn man nicht gleich das Ende der Arbeit ausrufen muss, sicher ist: Es werden Jobs wegfallen – es gibt aber aktuell auch keine Straßenlaternenanzünder mehr, ohne dass das als sozialpolitischer Rückschritt wahrgenommen würde. Jobs werden sich verändern. Ein Heizungsinstallateur hatte in den 1960er Jahren ein anderes Aufgabenfeld als eine Klima­technikerin heute. Wie immer die tatsächliche Entwicklung aussehen wird. Sie hängt auch mit dem verfügbaren Arbeits­kräftepotenzial und den Möglichkeiten für Umschulung und Weiterbildung für jene Berufe zusammen, die gesellschaft­lich nicht mehr gewünscht oder notwendig sind.


Überschwemmungen in Bangladesch, Dürren in Ostafrika, Verwüstungen durch Hurrikans oder Taifune in (sub-)tropischen Regionen. Wir kennen die Schlagzeilen seit Jahrzehnten. Beängstigend schon, aber weit weg. Bis jetzt. Gerade in diesem Sommer mehren sich die Katastrophenmeldungen auch bei uns in Europa. Im Juni zog ein Tornado eine Schneise der Verwüstung durch Süd-Tschechien, wirbelte Autos durch die Luft, zerstörte Gebäude und forderte sogar Menschenleben. Im Juli führten Starkregen und das daraus folgende Hochwasser zu katastrophalen Schäden in vielen mitteleuropäischen Regionen – vor allem Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen waren massiv betroffen. Aufgrund der schweren Unwetter starben in diesen deutschen Bundesländern mindestens 180 Menschen. Im August erreichten uns Bilder von den Brandkatstrophen in beliebten Urlaubsregionen wie Antalya, dem Peloponnes oder Sizilien.

Der Klimawandel ist sicher nicht die einzige Ursache für diese Katastrophen, aber er spielt eine entscheidende Rolle. Das bekräftigt auch der mittlerweile sechste Sachstandsbericht des IPCC, der im August veröffentlicht wurde. Und eines machten die rund 600 involvierten ExpertInnen deutlich – die Gefahr solcher Extremereignisse steigt. Bereits Ende Juli veröffentlichten fast 14.000 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus 150 Ländern im Fachjournal Bioscience einen Aufruf, um auf die „sehr beunruhigenden Trends und geringen Fortschritte der Menschheit bei der Bekämpfung des Klimawandels" hinzuweisen und den „Klimanotstand“ auszurufen. Viel mehr Anstrengungen seien nötig, um „unsägliches Leiden infolge der Klimakrise" zu vermeiden. Und tatsächlich mehren sich Hinweise, dass wir nun vor ein entscheidenden Kipppunkten stehen könnten – wenn wir sie nicht bereits überschritten haben. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hält sogar einen Kollaps des für das europäische Klima so wichtigen Golfstroms für möglich.

Europa fit für den Klimaschutz machen

Mittlerweile hat auch die europäische Politik den Kampf gegen den Klimawandel ganz oben auf ihrer Agenda. In dem jüngst präsentierten Fit-for-55-Paket schlägt die Europäische Kommission zwölf Verordnungen und Richtlinien vor, um die Politik der EU in den Bereichen Klima, Energie, Landnutzung, Verkehr und Steuern so zu gestalten, dass die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent sein und damit eine „gerechte, grüne und prosperierende Zukunft“ für kommende Generationen gewährleisten. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaft und Gesellschaft.

Das Fit-for-55-Paket ist ein klares Bekenntnis zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen. Im Zuge dessen soll das euro­päische Emissionshandelssystem auf weitere Sektoren ausgedehnt und mit strengeren Auflagen versehen werden. Steuerbefreiungen bzw. -ermäßigungen für fossile Brennstoffe sollen fallen. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sollen künftig Produkte, die nach Europa importiert werden, einem CO2-Grenzausgleich unterliegen. Ein solches – WTO-rechtlich doch ein wenig heikles – Unterfangen soll verhindern, dass energie- bzw. emissionsintensive Branchen ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber außereuropäischen Mitbewerbern verlieren und letztlich Emissionen ins Ausland verlagern werden, ein Phänomen, das mit dem Begriff „Carbon Leakage“ beschrieben wird.

Ungleiche Voraussetzungen

Bleibt noch das Problem des innereuropäischen Steuerwettbewerbs, also der sehr unterschiedlichen Steuersätze auf Kraft- und Heizstoffe bzw. anderer ökologischer Steuern. So liegt der implizite Steuersatz für Benzin in den Niederlanden bei rund 360 Euro pro Tonne CO2, dem höchsten Wert unter den europäischen Ländern – rund 150 Euro über dem österreichischen Satz und weit über dem europäischen Mindestsatz von 159 Euro. Bei Erdgas zeigen sich die Niederländer vergleichsweise weniger ambitioniert und rangieren im Bereich von etwa 20 Euro die Tonne CO2, aber immer noch weit über dem in der Energiesteuerrichtlinie festgelegten europäischen Mindestsatz von fünf Euro. Jedoch unter dem Wert von 30 Euro, den die Österreicher anlegen. Belgien orientiert sich beim implizierten Steuersatz auf Heizöl und Erdgas an den europäischen Mindestsätzen, liegt aber bei den Kraftstoffen – Benzin, v.a. aber Diesel – weit über den österreichischen Werten. Die Einführung eines einheitlichen – oder zumindest vergleichbaren – europäischen CO2-Preises bedarf wohl noch einiges an Diskussionen und Abstimmungen, nicht zuletzt aufgrund verschiedener Einsparungsvorgaben bei den Emissionen (bis 2030: Schweden –40 %; Bulgarien 0 %) und sehr unterschiedlichen Kaufkraftniveaus in den Mitgliedsstaaten.

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