Fachtag Gemüse-, Obst- und Gartenbau sowie Ackerbau der 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums: Müssen Menschen Lust an saisonalen Lebensmitteln zurückgeben, sie aber auch mehr in die Verantwortung nehmen.
Wien: Bei den heutigen Fachtagen Gemüse-, Obst- und Gartenbau sowie Ackerbau im Rahmen der Wintertagung 2022 beleuchtete das Ökosoziale Forum die Wertschöpfungskette vom Feld bis zur Supermarktkasse. Der Fachtag Ackerbau zum Thema „Herkunft kennzeichnen – Perspektiven für die regionale Wertschöpfungskette von Agrarprodukten“ erörterte die Chancen des Ackerbaus insbesondere vor dem Hintergrund des Green Deals und durch die zunehmende Bedeutung der Regionalität. In der Mediathek werden dabei die Potenziale von Eiweißpflanzen, aber auch innovative Ideen in der Praxis vorgestellt. Am Fachtag Gemüse-, Obst- und Gartenbau sprachen die Expertinnen und Experten über „Entwicklungen in der Branche – vor, während und nach der Pandemie“. Sie reflektierten regionale Lieferketten, Partnerschaften sowie Chancen und Hindernisse. Die Expertinnen und Experten beider Fachtage waren sich dabei weitgehend einig, dass das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten für regionale Produkte und hier vor allem die Saisonalität gestärkt werden muss – auch, um den Menschen die Lust an saisonalen Lebensmitteln zurückzugeben.
Pernkopf: Nur regionale Produktion gewährleistet Versorgungssicherheit
Der Präsident des Ökosozialen Forums, Stephan Pernkopf, nennt internationale Konflikte und die aktuellen Preisentwicklungen als zentrale Herausforderungen für den Acker- sowie Gemüse-, Obst- und Gartenbau: „Der Großhandelspreis bei Gas hat sich innerhalb eines Jahres versiebenfacht. Das hat in der Düngemittelherstellung zu Stilllegungen der Produktion geführt. Die Folge ist, dass durch den Nährstoffmangel am Feld die Erträge sinken, der Versorgungsgrad sinkt und global die Zahl jener Menschen steigt, die von Hunger betroffen sind. Daher muss man auch sagen: Wenn der Green Deal dazu führt, dass spürbar weniger Lebensmittel in Europa produziert werden, dann ist das der falsche Weg. Das führt zu mehr Abhängigkeit, mehr CO2-Ausstoß und höheren Preisen. Für mich ist klar: Ohne Herkunft keine Zukunft! Herkunft gibt Sicherheit. Nur dann weiß man, wie etwas produziert wird und ob es verfügbar ist.“
Fachtag Ackerbau: Bewusstsein, Transparenz und regionale Kreisläufe schaffen
„Welche Bedeutung hat die Herkunftskennzeichnung für die regionale Wertschöpfungskette von Agrarprodukten?“ Das ist das Thema der Diskussion zum Fachtag Ackerbau, bei der zwei Themen vorrangig sind: Zum einen sollte Österreich regionale Kreisläufe und Transparenz schaffen, zum anderen sollte das Bewusstsein bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern gestärkt werden, wie Josef Moosbrugger, Präsident der LK Österreich, betont: „Corona hat das Bewusstsein dafür geschaffen, dass Lebensmittel nicht selbstverständlich tagtäglich verfügbar sind. Wir sind gut beraten, dieses Bewusstsein aufrechtzuerhalten und zu zeigen, dass die Versorgung eine Sicherheitsfrage für die Zukunft ist. Wir müssen dazu aber einen gemeinsamen Effekt der Wertschätzung für Lebensmittel auf Konsumentenseite schaffen und endlich auch mit dem Handel in eine Wertediskussion einsteigen.“ Einen wichtigen Anteil daran hat eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln, wie Alexander Bernhuber, Abgeordneter zum Europäischen Parlament, klarstellt. Er sieht aber vor allem in diesem Bereich noch Handlungsbedarf: „Die aktuellen Rahmenbedingungen der EU für Herkunftsbezeichnungen spiegeln nicht wider, was sich die österreichische Landwirtschaft wünscht und was die Konsumentinnen und Konsumenten fordern. Hier gibt es aber mit dem gemeinsamen Beschluss für die ‚Farm to Fork‘-Strategie im Europäischen Parlament einen Zwischenerfolg. Sie wird durch eine klare und transparente Herkunftskennzeichnung die Grundlage für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem bilden.“
Eine Grundlage für einen zukunftsfitten Ackerbau wird zudem das Schaffen regionaler Kreisläufe und Wertschöpfungsketten sein. Gerhard Zinner, Geschäftsführer der Waldland Holding, meint dazu: „Die zentrale Herausforderung besteht darin, möglichst viele Betriebe in der Landwirtschaft zu halten und diesen ein adäquates Einkommen zu ermöglichen. Die transparente Kennzeichnung der Herkunft von Produkten und das Vermeiden von Überproduktion sind wesentliche Voraussetzungen dafür.“ Martin Greßl, Leiter des Qualitätsmanagements bei der Agrarmarkt Austria Marketing, verweist dazu auf die Anforderungen der Konsumentinnen und Konsumenten, von denen der Großteil erwartet, dass in österreichischem Brot auch heimisches Getreide und Mehl enthalten sind: „Für eine positive Zukunft des Ackerbaus und des Lebensmittelhandwerks braucht es konkret zwei Schritte: Zum einen die Re-Lokalisierung des Rohstoffs bei traditionellen Backwaren und darüber hinaus die Initiierung weiterer Regionalprogramme, um Partnerschaften zu schmieden.“ Dabei kann die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie darauf aufbauen, dass das Vertrauen in österreichische Lebensmittel hoch ist, so Matthias Krön, Obmann vom Verein Donau Soja: „Soja ist als Futtermittel ein wesentlicher Teil der Produktionskette, weil gerade bei tierischen Lebensmitteln aus Österreich ein GVO-frei gefüttertes Tier, hohe Standards beim Tierschutz und verbesserte CO2-Werte erwartet werden. Es braucht neue Programme, um die von österreichischen Bäuerinnen und Bauern produzierten Lebensmittel im eigenen Land nicht nur zu produzieren, sondern auch im Produktkreislauf zu behalten und zu vermarkten.“
Fachtag Gemüse-, Obst- und Gartenbau: Regionalität verlangt auch Saisonalität
Beim Fachtag Gemüse-, Obst- und Gartenbau diskutierten die Expertinnen und Experten zum Thema „Regionalität im Handel – Herausforderungen und Möglichkeiten entlang der Wertschöpfungskette“. Sie kamen überein, dass es neben der Regionalität auch einen stärkeren Fokus auf Saisonalität braucht. Dazu Carlos Steidl von gurkerl.at: „Für den Lebensmittelhandel sind Partnerschaften mit regionalen Betrieben enorm wichtig, um ein vielfältiges Sortiment aus der Region zu schaffen. Nur so können wir auch eine Zufriedenheit der Konsumentinnen und Konsumenten garantieren. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass wir in Österreich Saisonen haben. Es braucht daher ein Umdenken, denn es muss nicht immer alles verfügbar sein.“ Der Generalsekretär der LK Österreich, Ferdinand Lembacher, betont ebenfalls, dass Regionalität und Saisonalität untrennbar miteinander verbunden sind, es aber zu lösende Herausforderungen gibt: „Wir wurden darauf konditioniert, dass Warten unzumutbar ist. Die ständige Verfügbarkeit nimmt uns jedoch die Vorfreude auf saisonale Lebensmittel. Das wird verstärkt durch Angebote ausländischer Ware, die vor heimischer Ware erhältlich ist. Das ist nicht notwendig. Wir sollten den Menschen die Vorfreude wieder zurückgeben.“
Einen Ansatzpunkt für eine erfolgreiche Kommunikation der Saisonalität bietet Christina Tönniges von der GfK Austria. „Wir müssen den Konsumentinnen und Konsumenten die Saisonalität erklären und zwar mit dem Hinweis auf die klimaschädlichen Wirkungen von Importware. Die Eigenverantwortung gegenüber der Umwelt ist momentan hoch. Diese Chance sollte man nutzen.“ Eine große Chance ist zudem die Kennzeichnungspflicht, die die Konsumentinnen und Konsumenten stärker in die Verantwortung nimmt, wie Ewald Mayr vom Verband der Obst- und Gemüseproduzenten Oberösterreich unterstreicht: „Die Landwirtschaft hat mit der Regionalität eine große Chance. Der entscheidende Punkt wird aber die Kennzeichnungspflicht insbesondere bei verarbeiteten Lebensmitteln sein. Da werden einigen die Augen aufgehen. Daher darf man eines nicht vergessen: Jeder Griff ins Regal ist ein Produktionsauftrag.“ Josefine Sinkovits vom Bundesamt für Ernährungssicherheit stellt klar, dass „in Österreich Lebensmittel mit guter Qualität in den Regalen sind. Das gewährleistet Österreich mit entsprechenden Kontrollen. Teil dessen wird künftig das Kompetenzzentrum Lebensmittelkette sein, das derzeit aufgebaut wird. Der beste Kontrolleur sind jedoch die Konsumentinnen und Konsumenten mit ihren Sinnen. Sie entscheiden, zu welchem Produkt sie greifen.“
Der 69. Wintertagung 2022 immer und überall folgen
Die 69. Wintertagung des Ökosozialen Forums findet auch dieses Jahr digital statt. Das ermöglicht es, den Vorträgen und Diskussionen jederzeit und überall live zu folgen sowie mitzudiskutieren. Videos der Veranstaltung sowie weitere spannende Vorträge zu unterschiedlichen Aspekten und Themen können zudem in der Mediathek nachgesehen werden. Die Expertinnen und Experten analysieren dabei den Status quo in der landwirtschaftlichen Produktion, künftige Herausforderungen sowie Potenziale der Landwirtschaft in den einzelnen Bereichen. Ziel sind Ideen und Lösungsansätze für eine nachhaltige, zukunftsfitte und dynamische Landwirtschaft.
Ausblick: Fachtage Weinwirtschaft, Bildung und Schweinehaltung
Der Fachtag Weinwirtschaft am 2. Februar widmet sich der Lagenklassifizierung und die Bedeutung der Herkunft in der Weinwirtschaft. Im Fokus stehen dabei Herausforderungen und Lösungsansätze in Österreich aus unterschiedlichen Blickwinkeln sowie ein Vergleich mit anderen Ländern. Die Beiträge in der Mediathek thematisieren Maßnahmen für einen schonenden Umgang mit Ressourcen und pilzwiderstandsfähige Rebsorten.
Ist die Digitalisierung der Bildung eine Chance für den ländlichen Raum in Europa? Antworten auf diese Frage gehen die Expertinnen und Experten beim Fachtag Bildungnach. Sie diskutieren Chancen und Herausforderungen sowie die Potenziale für die universitäre und die Erwachsenenbildung. Ergänzt werden die Inhalte durch Beiträge in der Mediathek, die Umsetzungsbeispiele und innovative Tools in der digitalen Bildung vorstellen.
Die Schweinehaltung findet sich nicht erst seit der Corona-Pandemie im Umbruch. Dabei stehen nicht nur Fragen des Tierwohls und des Preises im Fokus, sondern vor allem die aktuelle internationale Marktsituation. Die Expertinnen und Experten diskutieren am Fachtag Schweinehaltung im Live-Webinar und in der Mediathek Möglichkeiten und Chancen einer Herkunfts- und Tierwohlkennzeichnung sowie mögliche Lösungsansätze für mehr Tierwohl.