WT Sujetbild Agrarpolitik

Donnerstag 27. Jänner 2022 – 10:00 bis 14:50 Uhr
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Am Eröffnungstag der Wintertagung 2022 des Ökosozialen Forums Österreich & Europa widmeten sich die Expertinnen und Experten traditionell der Agrarpolitik. Beim Live-Webinar zum Thema „Zukunft dank Herkunft – Ist der Spagat zwischen globalen Märkten und regionaler Versorgung zu schaffen?“ diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ideen für die Agrarpolitik und Perspektiven für die Bäuerinnen und Bauern. Demnach steigen die Herausforderungen für die Landwirtschaft, da sich international schwelende Konflikte und rückläufige Ernten auf den Weltmarkt auswirken und zu steigenden Preisen führen. Der Green Deal wiederum wird für das betriebliche Management und die bäuerlichen Einkommen negative Folgen haben. Daher sollten die Betriebe in der regionalen Produktion unterstützt werden, um in Österreich und Europa eine hohe Selbstversorgung sicherstellen und unabhängiger von Importen aus Drittländern sein zu können. Dazu wird es innovative Ideen und ein Möglichmachen auf betrieblicher Ebene brauchen, so die Expertinnen und Experten. Sie fordern zudem ein Umdenken in der Agrarpolitik weg von Verboten und Regularien hin zum Heben von Potenzialen. Für den Eröffnungstag haben sich rund 820 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet und waren via Livestream dabei.

In seinem Eröffnungsreferat  verweist der Präsident des Ökosozialen Forums,  Stephan Pernkopf, auf die Lehren aus der COVID-Pandemie: „Sie hat zwei Dinge gezeigt: Wir sind verwundbarer geworden, was Lieferketten und damit die Versorgung mit Gütern anbelangt. ... Wenn der Green Deal dazu führt, dass spürbar weniger Lebensmittel in Europa produziert werden, dann ist das der falsche Weg. Das führt zu mehr Abhängigkeit, mehr CO2-Ausstoß und höheren Preisen. Wir wollen gute Preise für die Bäuerinnen und Bauern, als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Für mich ist klar: Ohne Herkunft keine Zukunft! Herkunft gibt Sicherheit. Nur dann weiß man, wie etwas produziert wird. Die Kennzeichnung ist ein Bürgerrecht.“

Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Elisabeth Köstinger, verweist in ihrem Vortrag auf Meldungen der letzten Tage, wonach durch den Lebensmitteleinzelhandel und durch Verarbeitungsbetriebe enormer Druck auf Bäuerinnen und Bauern ausgeübt wird. Gleichzeitig werden große Massen an Lebensmitteln weggeworfen. „Dieses Verhalten und dieses Lebensmittelsystem müssen der Vergangenheit angehören. Bei einem Kilogramm Kalbsschnitzel sieht man das sehr deutlich: In den vergangen 10 Jahren hat der Handel 7 Euro mehr an einem Kilogramm verdient – bei den Bäuerinnen und Bauern um einen Euro. Es gibt zahlreiche Herausforderungen für die Landwirtschaft, seien es die volatile Marktsituation oder steigende Energie- und Betriebsmittelpreise. Das bringt die Bäuerinnen und Bauern unter Druck, die dementsprechend unsere Unterstützung brauchen.“ Sie appelliert zudem, dass Gegeneinander von Bio und konventioneller Landwirtschaft zu beenden: „Das bringt nichts. Wir müssen zusammenhalten und gemeinsam den unschätzbaren Wert der täglichen Arbeit der Bäuerinnen und Bauern aufzeigen.“

Der Deutsche Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, verwies auf die lange Partnerschaft zwischen Deutschland und Österreich, die in der Vergangenheit wesentliche Änderungen in der europäischen Agrarpolitik ermöglichte: „Wenn die beiden Länder auf EU-Ebene und bilateral gemeinsame Ziele verfolgt haben, haben sie viel erreicht. Arbeiten wir weiterhin derart zusammen. Wir wollen in Deutschland eine Landwirtschaft mit guten Perspektiven als Grundlage für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. Ein nachhaltiges Ernährungs- und Agrarsystem ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und betrifft alle Stufen der Wertschöpfungskette.“

Der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, Peter Hauk, betont, dass es negative Stimmen zum Green Deal gibt, insbesondere was die Produktion und Erträge anbelangt. Er appelliert jedoch, auch einen Blick von einer anderen Seite zu wagen: „Erstens haben wir keinen Mangel an Lebensmitteln, sondern zum Teil eine Überproduktion. Wir müssen aber trotzdem alles tun, um die heimische Landwirtschaft zu stärken, und das ist die große Chance des Green Deals. Zweitens verfolgt der Green Deal das Ziel, die Versorgungssicherheit nicht zu schwächen, sondern zu stärken. “

Paul Sullivan, Dozent am Atlantic Council, Global Energy Center und an der Johns Hopkins University in den USA, nennt zentrale Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, wie z.B. die Verschwendung von Ressourcen, Energie und Nahrungsmitteln, wirtschaftliche und soziale Spannungen sowie steigende Preise und labile Lieferketten. „Es braucht Leadership in den Ländern und international. Meine Empfehlung an die Europäische Union ist daher: Behaltet die Costs and Benefits des Green Deals im Auge und reflektiert die Probleme, die entstehen können und werden. Das heißt auch, flexibel zu bleiben und nicht den Regeln auf Punkt und Komma zu folgen. Und man muss stets ein Auge auf allen Ressourcen und insbesondere Wasser, Roh- und Nährstoffe sowie Energie haben und die Verschwendung reduzieren. Eine Lösung ist eine Kreislaufwirtschaft, die man in guten für schlechte Zeiten planen und umsetzen sollte. Eines ist klar: Die alten Wege funktionieren nicht mehr.“


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