Die Europäische Kommission will Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Ein genauso ambitioniertes wie konfliktträchtiges Vorhaben. Gleichzeitig zeigen Hochwässer, Waldbrände und andere katastrophale Ereignisse im heurigen Sommer, dass uns im Klimaschutz langsam die Zeit davonläuft.


Überschwemmungen in Bangladesch, Dürren in Ostafrika, Verwüstungen durch Hurrikans oder Taifune in (sub-)tropischen Regionen. Wir kennen die Schlagzeilen seit Jahrzehnten. Beängstigend schon, aber weit weg. Bis jetzt. Gerade in diesem Sommer mehren sich die Katastrophenmeldungen auch bei uns in Europa. Im Juni zog ein Tornado eine Schneise der Verwüstung durch Süd-Tschechien, wirbelte Autos durch die Luft, zerstörte Gebäude und forderte sogar Menschenleben. Im Juli führten Starkregen und das daraus folgende Hochwasser zu katastrophalen Schäden in vielen mitteleuropäischen Regionen – vor allem Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen waren massiv betroffen. Aufgrund der schweren Unwetter starben in diesen deutschen Bundesländern mindestens 180 Menschen. Im August erreichten uns Bilder von den Brandkatstrophen in beliebten Urlaubsregionen wie Antalya, dem Peloponnes oder Sizilien.

Der Klimawandel ist sicher nicht die einzige Ursache für diese Katastrophen, aber er spielt eine entscheidende Rolle. Das bekräftigt auch der mittlerweile sechste Sachstandsbericht des IPCC, der im August veröffentlicht wurde. Und eines machten die rund 600 involvierten ExpertInnen deutlich – die Gefahr solcher Extremereignisse steigt. Bereits Ende Juli veröffentlichten fast 14.000 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus 150 Ländern im Fachjournal Bioscience einen Aufruf, um auf die „sehr beunruhigenden Trends und geringen Fortschritte der Menschheit bei der Bekämpfung des Klimawandels" hinzuweisen und den „Klimanotstand“ auszurufen. Viel mehr Anstrengungen seien nötig, um „unsägliches Leiden infolge der Klimakrise" zu vermeiden. Und tatsächlich mehren sich Hinweise, dass wir nun vor ein entscheidenden Kipppunkten stehen könnten – wenn wir sie nicht bereits überschritten haben. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hält sogar einen Kollaps des für das europäische Klima so wichtigen Golfstroms für möglich.

Europa fit für den Klimaschutz machen

Mittlerweile hat auch die europäische Politik den Kampf gegen den Klimawandel ganz oben auf ihrer Agenda. In dem jüngst präsentierten Fit-for-55-Paket schlägt die Europäische Kommission zwölf Verordnungen und Richtlinien vor, um die Politik der EU in den Bereichen Klima, Energie, Landnutzung, Verkehr und Steuern so zu gestalten, dass die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent sein und damit eine „gerechte, grüne und prosperierende Zukunft“ für kommende Generationen gewährleisten. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaft und Gesellschaft.

Das Fit-for-55-Paket ist ein klares Bekenntnis zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen. Im Zuge dessen soll das euro­päische Emissionshandelssystem auf weitere Sektoren ausgedehnt und mit strengeren Auflagen versehen werden. Steuerbefreiungen bzw. -ermäßigungen für fossile Brennstoffe sollen fallen. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sollen künftig Produkte, die nach Europa importiert werden, einem CO2-Grenzausgleich unterliegen. Ein solches – WTO-rechtlich doch ein wenig heikles – Unterfangen soll verhindern, dass energie- bzw. emissionsintensive Branchen ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber außereuropäischen Mitbewerbern verlieren und letztlich Emissionen ins Ausland verlagern werden, ein Phänomen, das mit dem Begriff „Carbon Leakage“ beschrieben wird.

Ungleiche Voraussetzungen

Bleibt noch das Problem des innereuropäischen Steuerwettbewerbs, also der sehr unterschiedlichen Steuersätze auf Kraft- und Heizstoffe bzw. anderer ökologischer Steuern. So liegt der implizite Steuersatz für Benzin in den Niederlanden bei rund 360 Euro pro Tonne CO2, dem höchsten Wert unter den europäischen Ländern – rund 150 Euro über dem österreichischen Satz und weit über dem europäischen Mindestsatz von 159 Euro. Bei Erdgas zeigen sich die Niederländer vergleichsweise weniger ambitioniert und rangieren im Bereich von etwa 20 Euro die Tonne CO2, aber immer noch weit über dem in der Energiesteuerrichtlinie festgelegten europäischen Mindestsatz von fünf Euro. Jedoch unter dem Wert von 30 Euro, den die Österreicher anlegen. Belgien orientiert sich beim implizierten Steuersatz auf Heizöl und Erdgas an den europäischen Mindestsätzen, liegt aber bei den Kraftstoffen – Benzin, v.a. aber Diesel – weit über den österreichischen Werten. Die Einführung eines einheitlichen – oder zumindest vergleichbaren – europäischen CO2-Preises bedarf wohl noch einiges an Diskussionen und Abstimmungen, nicht zuletzt aufgrund verschiedener Einsparungsvorgaben bei den Emissionen (bis 2030: Schweden –40 %; Bulgarien 0 %) und sehr unterschiedlichen Kaufkraftniveaus in den Mitgliedsstaaten.